Unter Korsaren verschollen
De Vermont, der die Landschaft betrachtet, sieht am Wegrand einen Mann sitzen. Neben ihm grast ein Pferd. Der Reiter hält eine korbumflochtene Flasche in der Hand, auf dem Schoß liegt ein Stück Brot, sicherlich auch etwas Käse. Aber da ist man schon vorbei.
Dort taucht die Ruine auf. Kein Mensch in der Nähe.
Plötzlich Hufgetrappel hinter der Kutsche, und schon schaut ein fröhlich lächelnder junger Mensch durchs Fenster.
Guten Tag! wünscht er den beiden Reisenden, wie sie aus den verbindlichen Armbewegungen des Fremden zu entnehmen glauben.
Parvisi läßt die Scheibe herunter. Vielleicht braucht der junge Mann einen Rat. De Vermont hat sofort festge-stellt, daß es nicht der Rastende vom Wegrand ist.
»Was gibt es?« fragt der Handelsherr. »Nicht viel, Herr!« entgegnet lächelnd der Reiter. »Also doch etwas.
Laßt hören, Freund!«
»Ah, oh -.« Der Mann wirft einen Blick nach vorn.
»Eine Kleinigkeit nur«, gedehnt kommen die Worte.
»Nun?«
Schon wieder blickt der Reiter die Straße hinauf. Plötzlich schnalzt er mit der Zunge und wendet sich zu Parvisi: »Ihr werdet höflich ersucht, uns etwas Gesellschaft zu leisten.«
»Was soll das heißen?« fragt der Genuese scharf zu-rück.
»Weist Euren Kutscher an, in den Seitenweg da vor uns einzubiegen.«
»Und wenn ich es nicht tue?«
»Warum Geschrei wegen einer höflich vorgebrachten Bitte erheben?« Das Gesicht des jungen Mannes strahlt weiterhin in Freundlichkeit und Lust.
»Wer seid Ihr?«
»Ein Mensch wie Ihr, Herr, nur in weniger glänzenden Verhältnissen.«
»Ein Brigant!«
»Pfui, Herr Parvisi! – Doch das ist nicht Eure richtige Meinung. Also, wollt Ihr der Aufforderung nachkommen?« Jetzt ist der Ton anders, obwohl sich am höflichen Benehmen nichts geändert hat.
»Nein! Ich bin nicht allein, ein Gast ist bei mir, für den ich verantwortlich bin.«
Andrea Parvisi hat inzwischen die Gegend abgesucht.
Nirgends ein Mensch, lediglich dort hinten kommt ein einzelner Reiter der Kutsche nach.
»Kutscher, laß die Rappen laufen, was sie können! Hilf mit der Peitsche nach!« befiehlt der Kaufmann.
»Schade, dann bleibt nur die Gewalt. Ihr habt gewählt, Signore Parvisi.« Der junge Mann, der mit spöttischer Miene die Anweisung gehört hat, zieht eine Pistole und schießt in die Luft.
Inzwischen hat sich der Wagen bis auf eine kurze Strecke der besagten Abzweigung genähert. Aus der Schlucht tauchen vermummte Gestalten auf. Der Reiter ist vom Pferd auf den Kutschbock gesprungen und entreißt dem Fahrer Peitsche und Zügel. In wilder Jagd geht es in den Seitenweg hinein, daß der Wagen umzustürzen droht. Felswände steigen links und rechts haushoch an.
Hier herrscht schon fast Dunkelheit. Die Nacht ist nicht mehr fern.
Die Reisenden haben sich in das Unvermeidliche ge-fügt.
»Keine übermäßige Angst, Herr de Vermont«, spricht Parvisi beruhigend auf den Franzosen ein. »Die Leute werden mit sich reden lassen. Auch hier wird Gold Wunder bewirken. Aufs Leben wird man es nicht abgesehen haben.«
De Vermont hat dafür nur eine geringschätzige Handbewegung. Im Augenblick findet er den Überfall sogar reizvoll. Die Banditen werden schlau genug sein, einem Franzosen nicht zu nahe zu rücken. Die Folgen wären zu schwerwiegend.
Die beiden Männer wissen nicht, daß auch der nachfol-gende Reiter in die Hand der Räuber gefallen ist.
Ohne die Geschwindigkeit zu verringern, geht es dahin.
Vom Weg ist nichts mehr zu erkennen; denn es ist Nacht geworden. Parvisi hatte anfangs versucht, an Kehren und Wenden der Straße die Richtung festzustellen, gab es aber bald auf.
Plötzlich hält der Wagen. So kurz und schnell, daß die Männer von ihren Sitzen hochgeschleudert werden. Der Schlag wird aufgerissen.
»Aussteigen!« Ein schroffer, keine Widerrede gestat-tender Befehl. Fäuste packen zu, um der Aufforderung größeren Nachdruck zu verleihen.
Bevor die Gefangenen sich umblicken können, sind sie schon durch die Tür ins Haus gedrängt.
»Hier hinein!« Parvisi und de Vermont werden in einen dunklen Raum gestoßen. Die Tür fliegt zu. Zwei Riegel knarren.
Nicht so glatt und reibungslos geht es bei dem mitge-fangenen Reiter. Es ist ein junger, kräftiger Bursche.
Schon mehrfach hat er unterwegs den Banditen klarzu-machen versucht, daß er nichts Böses gegen sie im Sinne habe und deshalb die Gefangennahme unverständlich sei. Er sei ein Bote eines mächtigen Herrn, mit dem anzubinden er nicht rate.
»So?« Wer denn der
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