Unter Korsaren verschollen
urteilen, gehören sie zu den untersten Schichten des Volkes. Bei dem fortwährenden Schwanken auf dem unebenen Weg hört man Waffengeklirr. Es ist die Leibwache Gravellis.
Nach Stunden läßt der Bankier halten. Camillo steigt vom Bock und tritt an den Wagenschlag.
Man befindet sich zwischen wilden Bergen. Nirgends ist ein Haus oder Gehöft zu sehen. Nur auf dem Hügel zur Rechten gewahrt man ein zerfallenes Gebäude, Überrest eines ehemaligen Schlosses.
Gravelli gibt dem Diener eine Anweisung. Camillo klettert auf seinen Sitz zurück. Ein fragender Blick des Kutschers.
»Warten«, beantwortet ihn Camillo.
Aus den Falten seines Mantels zieht der Diener eine Hirtenflöte und spielt ein Lied. Spielt es zu Ende, beginnt von vorn.
Am Wagenfenster steht Gravelli und mustert die Gegend. Wolken schieben sich vor die Mondscheibe, hu-schen vorüber. Camillo spielt noch immer.
Da, hat sich vor den Ruinen nicht etwas bewegt? Verflucht, eben ist das Licht wieder durch einen Wolkenfet-zen ungewiß geworden. Aber der Bankier hat sich nicht getäuscht. Plötzlich ertönt eine Stimme. – Woher sie gekommen ist, weiß Gravelli nicht. Von links, von rechts? Gleichgültig.
»Wer ruft den ,Herrn der Berge’?«
»Einer, der seiner bedarf«, antwortet der Bankier ins Ungewisse hinein.
»Euer Name?«
»Ist Geld nicht besser als jeder Name? Geld ist echt, ein Name braucht es nicht zu sein.«
»Gut gesprochen. Euer Begehr?«
»Ich werde meinen Wunsch dem Herrn selbst sagen.
Ruft ihn oder führt mich zu ihm!
»Oho! Ihr führt ein großes Wort. Hier bestimmt nur einer: der Herr! Verstanden?«
»Ihr habt deutlich genug gesprochen, und ich bin nicht taub. Aber ich liebe es nicht, lange zu warten.«
»Dann sprecht!«
Der Bankier prallt zurück. Wie dem Erdboden ent-wachsen, steht plötzlich vor ihm ein Mensch. Ein breit-krempiger Hut bedeckt das halbe Gesicht, das obendrein unter einer Larve verborgen ist. Eine solche hatte nach dem Wortwechsel mit Camillo auch Gravelli umgebun-den.
»Wollt Ihr einen Beutel Gold verdienen?«
»Warum nicht, wenn die Forderung den Preis nicht übersteigt. Kommt heraus, und laßt uns ein wenig zur Seite treten. Wir brauchen keine Lauscher bei unserem Geschäft.«
Obwohl der Bankier vor wenigen Sekunden erst ge-wünscht hat, zu dem Herrn der Berge geführt zu werden, zögert er jetzt, den Wagen zu verlassen. Etwas Schutz bietet die Kutsche ihm doch, sollte der geheimnisvolle Mann vor ihm unehrliches Spiel im Sinn haben.
»Nun, so kommt schon«, fordert der Herr der Berge noch einmal auf. Es nützt Euch nichts, meinem Befehl den Gehorsam zu verweigern. Ihr seid in meiner Gewalt.
Blickt nach vorn!«
»Zum Teufel mit Euch!« knirscht Gravelli, der zwei Vermummte bei den Pferden und einen mit gespannter Pistole neben Camillo bemerkt.
Der Diener sitzt wie eine Statue auf dem Bock.
»Und was stellt Ihr hinten fest, Herr?« kichert der Unheimliche. Gravelli zieht erschreckt den Kopf zurück. Er hat genug gesehen, um zu wissen, daß mit seiner Leibwache nicht zu rechnen ist.
»Wenn sich auch Eure Gehilfen augenblicklich noch der Freiheit erfreuen, sie sind doch dingfest gemacht.«
Es ist so, wie der Herr der Berge sagt. Der zweite Wagen steht etwa hundert Meter zurück auf der Straße.
Zwei der Leibwache sind ausgestiegen und liegen mit schußbereiten Waffen zwischen den Rädern der Kutsche.
Die Fenster sind geöffnet. Nach jeder Seite ragt der Lauf einer Flinte heraus.
»Eine schöne Falle, in die wir da geraten sind!« zischt einer der unter dem Wagen Liegenden seinem Gesellen zu. »Die Kerle verstehen ihr Geschäft. Tüchtige Burschen, alle Hochachtung.«
»Die Gegend scheint nur so von Leuten des geheimnisvollen Herrn der Berge zu wimmeln. Einen, zwei, drei, vier, fünf sehe ich von meinem Platz aus im Halbkreis hocken. Sie sind mit Flinten bewaffnet.«
»Bei mir ist es das gleiche. Hoffentlich ist der Alte klug und führt uns heil wieder aus der Gefahr heraus.«
»Hast du Angst?«
»Stelle dir die Frage, dann hast du auch meine Antwort.«
Da es dem anderen ebenfalls nicht wohl zumute ist, unterläßt er es, etwas darauf zu erwidern.
»Ich dachte, Ihr wolltet mir ein Geschäft vorschlagen«, ermuntert der Herr der Berge den Bankier.
»Das will ich. Aber ich bin freiwillig zu Euch gekommen und möchte dafür nicht feindselig behandelt werden.«
»Eure Schuld. Warum müßt Ihr einen ganzen Troß mit Euch führen? Wer mir vertraut, wird niemals enttäuscht sein. Doch an Vertrauen
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