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Unter Korsaren verschollen

Unter Korsaren verschollen

Titel: Unter Korsaren verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Legere
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sollt Ihr es bald in den Händen halten.«
    Mit flinken Fingern tastet der Bandit den Boten ab. Der Herr der Berge beobachtet ihn dabei. Er sieht die schmalen und äußerst gepflegten Hände seines Kameraden, die so gar nicht zu dem schmierigen Äußeren des Mannes passen.
    »Es scheint nichts Wichtiges zu sein; denn er trägt es nur auf der Brust«, meldet Guiseppe schon bald.
    »Gib her!«
    »Es ist versiegelt.«
    »Was kein Hindernis für dich ist. Öffne!«
    Das dauert nun einige Zeit; trotzdem bereiten dem Meister der Zunft solche Dinge keine Schwierigkeiten. Oft hat er während seines langen Lebens, das Kampf gegen Unterdrücker und die Großen des Grundbesitzes und der Politik gewesen ist, Briefe erbrochen und unkenntlich wieder verschlossen.
    »Wirklich, es ist nur ein Privatbrief«, bestätigt der Banditenführer, als er die Zeilen überflogen hat. »Nichts für uns.«
    »Soll ich ihn wieder verschließen?«
    »Nicht jetzt, später. Doch lies, Guiseppe. Findest du etwas in den Zeilen?«
    Mit einem: »Auch mir scheint das Schreiben ohne Bedeutung zu sein«, gibt es der Alte dann zurück.
    »Aber Gravelli ist ein schlauer Fuchs. Man tut gut daran, gerade solche unverfänglichen Schreiben genaue-stens zu betrachten. Ich werde es noch tun und dich dann wieder rufen. Jetzt hilf mir, den Schläfer aufs Bett zu legen. Das Abendbrot soll man auftragen. Wirkt der Schlaftrunk nicht lange genug, dann mag das bereitstehende Essen dem Burschen beweisen, daß er nur zu erschöpft war und deshalb eingeschlafen ist.«
    »Was geschieht mit dem ältesten Jahrgang?«
    »Zurückgießen. Bringe die gleiche Menge unschädlichen mit.« Nachdem die Anweisungen ausgeführt sind und der Herr der Berge annimmt, nicht mehr gestört zu werden, zieht er das Schreiben Gravellis erneut heran und liest es Wort für Wort, halblaut, um vielleicht so hinter einen versteckten Sinn zu kommen. Der Bankier schreibt an seinen Sohn in Wien, und so, wie eben ein Vater an den Sohn in der Ferne schreibt. Am Schluß stehen einige geschäftliche Bemerkungen, glatte Ratschläge, das und jenes einzuleiten, Preisangaben. Harmlos alles.
    Trotzdem kommt der Lesende nicht von dem Gedanken los, daß es doch mit dem Schreiben eine besondere Be-wandtnis haben muß. Nicht wegen Nichtigkeiten wird ein Bote von Genua nach Wien geschickt. Ob Parvisi mit den Zeilen etwas anfangen kann? Es wird höchste Zeit, sich um die beiden Gefangenen zu kümmern.
    Unbewußt zieht der Mann die schwarze Maske, die er, nachdem der Schlaftrunk bei dem Reiter seine Wirkung getan, abgelegt hatte, wieder aus der Tasche, um sie um-zubinden. Erst als die Finger die bekannten Griffe voll-führen wollen, merkt er es. Er lächelt.

    Parvisi und de Vermont haben sich in dem dunklen Raum umhergetastet. An einen Stuhl, einen Tisch und eine Pritsche sind sie gestoßen. Sonst scheinen keine anderen Einrichtungsgegenstände vorhanden zu sein.
    Der Genuese hat dem Franzosen das Bett überlassen und sich auf den Stuhl gesetzt. Gesprochen wird nicht. Man weiß nicht, ob ein Lauscher hinter der Tür steht. Um das Leben bangen sie nicht. Parvisi glaubt, daß es auf ein Lösegeld, wenn auch ein sehr hohes – denn man weiß sicher, wen man gefangen hat – hinausgehen wird; de Vermont verläßt sich auf seine französische Staatsange-hörigkeit.
    Die Riegel knarren, die Tür öffnet sich. Mit einem drei-kerzigen Leuchter in der Hand, tritt der Herr der Berge ein.
    Die Gefangenen blinzeln in die Flammen. Parvisi hat sich von seinem Platz erhoben. Nur etwas aufgestützt, ohne sich ganz aufzurichten, blickt der Franzose zu dem Räuber hin. Er ist gespannt auf das Kommende.
    Die Augen der Gefangenen haben sich an die Veränderung gewöhnt. Das Licht fällt voll ins Antlitz des Herrn der Berge.
    »Giacomo, du! Wie kommst du hierher?« Der Kaufmann stürzt einen, zwei Schritte auf den anderen zu.
    Plötzlich stockt der Fuß. »Du, du bist doch nicht etwa der – Herr der Berge!« Parvisis Stimme, erst vor Freude über das Wiedersehen mit seinem besten Freund beschwingt, hat sich gewandelt. Nur noch Schreck ist in ihr. »Ich bin es, Andrea.«
    Mein Gott, zum Räuber herabgesunken der Freund, dessen Geist, Wissen und Können einst zu größten Hoffnungen berechtigte. »Ich bin erschüttert«, stöhnt der Kaufmann. »Warum bist du nie zu mir gekommen, Giacomo? Hast du gedacht, daß ich den Jugendgespielen, den Mitschüler der Hochschule, den vertrautesten Freund aus dem Haus weisen würde, wenn er Hilfe

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