Unter Korsaren verschollen
das Mittelmeer damit kreuzen. Kein Korsar wird sie auf der ,Astra’ belästigen.«
»Erst raubt man die Europäer aus, und dann verkauft man ihnen das gekaperte Schiff!«
»Wir sind geschützt.« Des Konsuls Hinweis kommt spitz. Was gehen denn Frankreich die Angelegenheiten der italienischen Staaten an? Wie kann es Herr de Vermont, der Vater, bei aller schuldigen Hochachtung, die man diesem verdienstvollen Kaufmann entgegenbringen muß, wagen, den diplomatischen Vertreter Frankreichs mit solchen Dingen zu belästigen! Ein Konsul, und sei seine Regierung noch so befreundet mit dem Dey, hat übergenug Sorgen und Ärger mit dem launischen und wilden Herrn. Die Last braucht nicht noch größer zu werden.
»Ich verstehe. Hoffentlich haben Sie keine Unannehmlichkeiten gehabt.« Eine bloße Redensart, sonst nichts.
»Aber nein, Herr de Vermont. Ich konnte mich der Sache nur noch nicht mit dem erforderlichen Nachdruck widmen. Natürlich werde ich es bei gegebener Gelegenheit versuchen, schon um Ihrem Herrn Vater gefällig zu sein.«
»Bemühen Sie sich nicht weiter, danke. Ich stehe nicht so im Blickfeld wie Sie, werde selbst versuchen, Erkundigungen einzuziehen. Obendrein ist die Sache auch nur eine Laune meines Vaters. Ohne Bedeutung.«
»Besten Erfolg.« Der Konsul ist sichtlich erleichtert, daß der Besucher die Angelegenheit so leicht nimmt.
»Übrigens – nein, lassen wir es«, unterbricht er sich sofort. Besser, man fragt nicht nach den Fäden, die sich zwischen de Vermont und der »Astra« spannen. Was ein Konsul nicht weiß, dafür braucht er nicht geradezuste-hen.
Pierre-Charles war sowieso erstaunt, daß der Vater, entgegen seiner ersten Entscheidung, doch noch die franzö-
sische Vertretung mit der Suche beauftragt hatte.
Als er in die Stadt hinabsteigt, rollen Kanonenschläge über die Bucht. Plötzlich ein Schieben, Drängen, Rennen in den Gassen. Handwerker räumen ihre Geräte zur Seite; Sorbetverkäufer schultern Schläuche und Fäßchen.
Der Gedanke: hinab zum Hafen! hat alle erfaßt.
Von einem Mauervorsprung aus kann er das Hafenbek-ken überblicken.
Ein Segler läuft ein. Hinter ihm ein plumper Kauffahrer. Korsar mit Beute.
Der Kai wimmelt von Menschen. Von Sekunde zu Sekunde strömen neue Massen aus dem Häusermeer hervor. Das wogt und schäumt wie vom Sturm gepeitschte See.
Im Augenblick ist nichts zu erreichen. Alle Häuser sind geschlossen. Der Dey oben in seinem Schloß bietet der Menge ein Spiel, ein Schauspiel, so wie es die Cäsaren Roms den Massen boten, um sie damit von staatsgefährlichen Gedanken abzuhalten.
Ich werde es mir ansehen, beschließt de Vermont und setzt seinen Weg fort.
Und es ist ein Schauspiel! Zeit spielt keine Rolle. Es dauert noch lange, bis das Piratenschiff die Segel fallen läßt, noch länger, bis das gekaperte Schiff am Kai liegt.
Dann aber beginnt es!
Die gefangene Schiffsmannschaft wird wie eine Herde Vieh von Bord getrieben.
»Christenhunde! Allah verdamme sie in die unterste der Höllen! Schlagt sie tot! An die Kette mit Ihnen!« So brüllt und tobt die Menge, die nichts mit den Gefangenen zu tun hat, sie nicht kennt, keine Rache zu nehmen hat, nur fremd zu Fremden steht.
»Scherbet, Zuckerwerk, Früchte! Früchte, wie sie schö-
ner, saftiger, süßer nirgends angeboten werden können!
Kauft, kauft!« schreien die Händler dazwischen. Sie machen ausgezeichnete Geschäfte.
»Was hast du mitgebracht, Ali!« – »Habt ihr die Hunde mit den Händen greifen können?« – »Wehrten sie sich?«
schwirrt es durcheinander.
»He, Alter, was gibst du für diesen Ring? Ich habe ihn einem Christenweib abgezogen.« Ein höhnisches Lachen unterbricht die Szene.
»Spring, Bursche, spring! Schneller, schneller!« Ein Pirat stößt einem jungen Matrosen, der vor der rasenden Menge den Schritt verhält, die Faust in den Rücken.
Staatsbeamte schlagen auf die Menschenmauern ein, bahnen sich einen Weg. Ein Achtel der Beute gehört dem Staat. Zuerst der Staat, macht Platz! Der Reis und die Mannschaft können sich nachher in den Rest teilen.
Manchmal fallen sich die Bestien selbst noch an.
Kampf um den fettesten Bissen, wie bei den Tieren.
Und immer wieder: Hilferufe der Gefangenen, Schreie von Geschlagenen und Niedergetrampelten, Flüche von kämpfenden Korsaren, Jubellaute, wenn einer dem anderen eine Kleinigkeit entreißen konnte. Hunde bellen, schnappen nach Menschenbeinen.
Irrenhaus Algier.
Die Schwarzgekleideten stehen zur Seite. Sie brauchen
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