Unter Korsaren verschollen
gefürchteten Räubern und Wegelagerern »ernannt« und sich mit einem geheimnisvollen Dunkel um-geben. Giacomo benutzt seinen Ruf als Herr der Berge zur Drohung und Warnung an die eigenen Feudalherren und die fremden Unterdrücker.
In Begleitung eines der »Räuber« kann Parvisi weite Ausflüge in die Umgebung machen. Man begleitet ihn zur Jagd, spielt und würfelt mit ihm an langen Abenden, kurzum, Tomasinis Leute versuchen alles, dem Gast das Leben auf dem einsamen Landsitz angenehm zu gestal-ten. Wenn sie mit Andrea spielen, dann ehrlich und nie um Geld. Oft läßt man ihn auch allein und unbewacht umherstreichen; dann sind aber wenigstens zwei oder drei Hirten irgendwo in den Bergen zu sehen. Zu seinem Schutz; denn wenn er später nach der Rückkehr mit dem Fernglas die durchwanderte Gegend absucht, sind sie verschwunden. Mit keinem Menschen ist er in den langen Wochen zusammengekommen, der nicht durch das Dienstpersonal angemeldet worden wäre. Wenn man will, ist der Genuese ein Gefangener, aber einer unter besonderem Schutz.
Die Verbindung mit seinem Haus ist umständlich, zugegeben, aber sie hat auch wieder ihre Vorzüge. Nur das Wichtigste und Bedeutendste braucht er selbst zu entscheiden. Unwesentliche, alltägliche Geschäfts-vorkommnisse, zu deren Klärung er früher manche Stunde der Tagesarbeit benötigte, werden jetzt in der Stadt geregelt. Auf diese Weise kann er sich mit den Hauptdingen beschäftigen. Der junge Mitarbeiter, der Verbindungsmann zu seinem Geschäftsführer, entpuppt sich immer mehr als ein Mensch von klarem Kopf. Da hat er doch kürzlich mit Hilfe einiger dem Hause, Parvisi befreundeter kleiner Kaufleute Gravelli die Versiche-rungszusage abgepreßt. Wenn es auch bedauerlich ist, den seit Jahrzehnten beschrittenen Weg verlassen und zu Täuschungen übergehen zu müssen, es muß sein. Man hat eben keine unwiderlegbaren Beweise in der Hand, muß Gravelli mit den Waffen bekämpfen, deren er sich bedient.
Erst seit kurzem befaßt sich Parvisi mit solchen Gedanken, die vom Herrn der Berge und seinen Leuten stammen. Heute erwartet man den Hausherrn von der Reise zurück. Tomasini war nach Wien gereist, um als stiller Beobachter am Kongreß der Staatsmänner und Souverä-
ne teilzunehmen.
Über den Vorplatz zum Haus kommt eine in Schwarz gekleidete Frau mittleren Alters. In den Armen trägt sie einen großen Strauß blühender Zweige und langstieliger Blumen. Jeden Tag plündert Emilia Parvisi den Park, um das Arbeitszimmer des Gatten und die anderen Räume des Schlößchens zu schmücken.
Sofort nachdem Andrea und Herr de Vermont auf dem Landsitz untergebracht waren, hatte Tomasini Signora Parvisi, die sich an dem verhängnisvollen Tag bei einer Schwester in Mailand zu Besuch befand, holen lassen.
»Ob sich Giacomo freuen wird?« fragt sie den Gatten.
Parvisi tritt auf Emilia zu und küßt sie auf die Stirn, führt sie dann zum Fenster. Erst nach einer geraumen Weile, während der sie die herrliche Berglandschaft betrachtet haben, sagt er: »Ich danke dir, Emilia, daß du mir hilfst, die Schuld abzutragen, die ich Giacomo gegenüber habe.«
»Sprich nicht davon, nicht von Dank, gleich gar nicht von Schuld. Ein Mensch wie dein Freund tut alles, weil ihn seine Überzeugung zur Tat zwingt. – Hast du Post bekommen?«
»Nein. Aber ich hoffe, daß bald wieder ein Schreiben von Xavier eingehen wird.«
»Ob…?«
»Nicht ungeduldig sein! Das Leid hat uns doch auch wieder zwei Menschen zugeführt, die wahre Freunde sind. Sie werden helfen, wo es ihnen möglich ist.« -
»Giacomo! Wie freue ich mich, daß du zurück bist!«
begrüßt Parvisi am Abend den Freund.
»Ist etwas geschehen?« fragt Tomasini sofort.
»Nein, nein«, wehrt Andrea den forschenden Blick ab.
»Kein Grund zu Ängsten. Was bringst du für Neuigkei-ten aus Wien mit?«
»Viel, mein Lieber. Gutes und Schlechtes. Um die Ungeduld, die dir in den Augen steht, nicht unnötig auf die Folter zu spannen, nur eins: Es hat den Anschein, als ob sich Europa zu einem gemeinsamen Schlag gegen die Sklaverei zusammenfinden wird. Nachher mehr. Ich muß alles für eine neue Reise vorbereiten lassen.«
»Du bleibst nicht hier, nicht einmal für Tage wenigstens?«
Tomasini hört zwar die Frage, unterläßt es aber im Augenblick, darauf zu antworten.
Das ist eine Nachricht, die Gold wert ist. Raffaela und Livio werden frei werden! Frau Parvisi weint leise vor sich hin; der Mann wandert aufgeregt im Zimmer auf und ab.
Es wird noch
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