Unter Korsaren verschollen
Tomasini schmunzelt. »In ihm steckt viel, eigentlich alles, um einmal der Herr der Berge werden zu können.«
»Gedenkst du, diesen – Beruf aufzugeben, Giacomo?«
»Natürlich nicht, aber mein Leben gleicht einem Ritt auf dem Pulverfaß. Ich kann in jeder Minute mit ihm in die Luft fliegen.«
Daran hat Parvisi noch gar nicht gedacht. Aber Giacomo hat natürlich recht. Er führt ein Leben ständigen Kampfes gegen die bestehenden Verhältnisse, ist der Herr der Berge, Karbonaio, Besitzer eines großen unter anderem Namen bestehenden Handelshauses in Rom und der – Baron Tomasini im Vatikan, der allem Neuen feindlich ist. Wenn jemand hinter die Geheimnisse kommt, dann besteht höchste Gefahr. Obwohl die Sache mit Gravelli auf der großen Linie des Kampfes des Freundes liegt, so bringt sie doch zusätzliche Arbeit und Gefahren. Es wäre auch für Tomasini gut, wenn sich Europa entschlösse, dem Dey den Kampf anzusagen. Es hat den Anschein, sagte Giacomo.
Also besteht Hoffnung auf Befreiung Raffaelas und Livios aus der Sklaverei. Ja – Hoffnung!
»Geographischer Begriff!« knurrt Tomasini unvermittelt.
»Was ist, Giacomo?«
»Wie, was?« Der Freund ist geistesabwesend. Parvisi wiederholt die Worte.
»Ja. Geographischer Begriff!’ Mehr ist unsere Heimat nicht für den Fürsten Metternich. Nur als solchen kenne er Italien. – Wovon sprachen wir? Von der ,Parma’.«
Die harten Furchen auf der Stirn Tomasinis bleiben.
»Gut gemeint, Andrea. Für den ersten Augenblick erscheint der Schlag ausgezeichnet, den ihr gegen Gravelli geführt habt. Das Schiff ist verloren, darüber seid ihr euch doch einig, nicht?«
»Gravelli wird, wenn unsere Vermutungen stimmen, es verraten.«
»Die Güter der kleinen Kaufleute sind verloren.«
»Ich habe alle auf der ,Parma’ zu verschiffenden Waren aufgekauft.«
»Du kannst einen solchen Verlust tragen, obwohl er nicht gerade klein sein wird. Aber die Menschen, Andrea, die Menschen! Hast du nicht bedacht, daß sie in die Sklaverei geraten?«
»Alles ist bedacht, Giacomo.«
»Bedacht, bedacht! Wie denn?« Tomasini ist ärgerlich.
Einen klaren Beweis der Schuld Gravellis will man in die Hand bekommen und opfert dafür Menschen. Schon will er mit der Faust auf den Tisch schlagen, als Parvisi weiterspricht:
»Dem Kapitän der ,Parma’ wird, wenn der Segler Genua verlassen hat, ein Brief überreicht werden, aus dem hervorgeht, daß Schiff und Ladung an das Haus de Vermont in Marseille verkauft sind. Von der gleichen Minute ab wird man unter französischer Flagge nach Korsika segeln. Xavier besitzt große Ländereien an der Küste, die der ,Parma’ Unterschlupf bieten.«
»Und?«
»Gravellis Freunde sind eben zu spät gekommen. Wir vermuten, daß er nur mit Algier arbeitet. Er muß annehmen, daß tunesische oder tripolitanische Piraten schneller waren. Wir werden in Genua verbreiten, daß die
,Parma’ gekapert ist.«
»Verfluchter Kerl! Komm, laß dich umarmen. Das ist ein Streich, der sich sehen lassen kann.«
EL-FRANSI
So hat sich Luigi Parvisi die Reise nach Medea, dem Sitz des Beys von Titterie, nicht gedacht, so nicht. Es geht lange Zeit nur kreuz und quer durch die Umgebung La Calles.
Seit Wochen sind Pierre-Charles de Vermont, Parvisi und der ständige Begleiter des Franzosen, der Neger Selim, nun schon unterwegs. Die Aufzeichnungen des Freundes hatten dem jungen Italiener bereits einen Eindruck von der Regentschaft, von Land und Leuten vermittelt. Was das Auge aber inzwischen sah, bewies, daß die Beschreibungen blaß und stümperhaft sind: sachlich, kühl, ohne Schwung und Phantasie, eben Bemerkungen eines Gelehrten. Vielleicht sind Worte überhaupt nicht geeignet, dieses Afrika einzufangen, jedenfalls nicht die, zu denen Pierre-Charles fähig ist, wenn er die Feder zur Hand nimmt.
Zur Zeit reisen die drei westlich von Constantine, der Hauptstadt des gleichnamigen Beyliks, im Gebiet der Silune und Tullah.
Seit Tagen gießt es in Strömen. Die an Abgründen hin-ziehenden Wege sind zu Todespfaden geworden.
Pierre-Charles und Selim kümmert es nicht.
Immer beschwerlicher wird der Aufstieg zur nächsten Niederlassung. Auf den Bergkuppen, wolken- und ne-belverhangen, kleben wie Nester die Kabylenhäuschen.
Drunten in der Schlucht brausen und toben die Wasser.
Luigi Parvisi wagt es kaum einmal, einen Blick hinab, auch nicht nach oben, dem Ziel, zu werfen. Er folgt, oder besser, überläßt es seinem Maultier, dem vorausreiten-den de Vermont zu folgen,
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