Unter Korsaren verschollen
hoffend, daß das sanfte Tier ihn glücklich aus der Gefahr dieses halsbrecherischen Steigs herausführen werde.
Soeben ist der Freund hinter einem Felsvorsprung verschwunden. »Waffen bereit!« dringt im gleichen Augenblick verworren sein Befehl um die Felsnase herum.
»Kämpfen? Jetzt? Hier?« stammelt Parvisi. Er hat sein Tier gezügelt, zwingt es schutzsuchend mit dem ganzen Körper an die aufsteigenden Felsmassen.
Der ihm folgende Neger macht gelassen die Flinte fertig. »Weiter, Luigi!« fordert er den Italiener auf. Und da Parvisi noch zögert: »Los, los! Ich kann nicht an dir vorbei. Wir müssen Pierre-Charles beistehen!«
Parvisi schämt sich seiner Furcht. Die Freunde sind bereit, ihm bei der Suche nach Livio zu helfen, unter Um-ständen das Leben einzusetzen, und er zögert, wo es gilt, den Franzosen zu unterstützen. Er ist kein Feigling, aber die wilde Umgebung, das ungewohnte Leben, bedroht von unbekannten Gefahren, er selbst noch ungeschickt in allem, lassen sein Zögern verständlich werden. Man ist ja in Afrika, in Algerien, einem gefährlichen Land, dessen Beherrscher weiße Menschen in die Sklaverei führen.
Vorsichtig trottet das Maultier weiter.
Ein Schuß dröhnt durch die Schlucht. Er stammt aus de Vermonts Flinte.
Parvisis Herz zittert, als das Tier sich auf dem kaum halbmeterbreiten Pfad um den Vorsprung windet. Zur Rechten gähnende Tiefe. Wenige Schritte weiter liegt das Maultier des Franzosen. Wo aber ist der Freund?
»Aus dem Sattel, Luigi!« befiehlt Selim, der eben auch die schwierige Stelle glücklich passiert hat.
»Pierre-Charles?« fragt der Italiener, mit belegter Stimme. Der Neger lacht.
»Dort hinter dem Stein hockt er doch!«
Ja, richtig. In seiner Verwirrung hat ihn Parvisi gar nicht bemerkt. Der Felsen bietet genug Deckung auch für drei Menschen. Selim und Luigi kriechen zu ihm hin.
Ungefähr zwanzig Meter davor kommt ein Saumpfad von links herunter, der in den von den Freunden bisher benutzten mündet.
Auf beiden Wegen, in gehöriger Entfernung noch, halten Trupps von Berbern. Man hat El-Fransi gesehen, natürlich auch seinen Schuß gehört, und ist sich nun wahrscheinlich nicht im klaren, was zu geschehen hat.
»Links Tulhah, rechts Silune. Wir befinden uns gerade zwischen beiden Stämmen«, erklärt Pierre-Charles. »Anscheinend befehden sich zwei Dörfer oder einzelne Soffs.«
»Und wir mittendrin. Schlimm, auf diesem Gelände in die Zange feindlicher Haufen zu geraten. Warum hast du dich eingemischt?«
»Keine Sorge, Luigi«, entgegnet de Vermont, ohne einen Blick von den Berbern zu lassen. »Ich habe mit Absicht die Aufmerksamkeit beider Trupps auf uns gelenkt, um anzuzeigen, daß wir Fremde sind und nichts mit ihren Händeln zu tun haben. Man soll uns erst anhören, ehe man uns in einen Kampf einbezieht, obwohl ich ihn nicht fürchte. Unsere Waffen tragen weiter als ihre. Von hier aus halte ich beide Haufen in Schach, aber sie haben den Vorteil, daß sie höher stehen als wir. Bei Einbruch der Nacht wären sie alleinige Herren der Lage. Doch so weit dürfen wir es nicht kommen lassen. Folgt mir! Die Tiere bleiben zurück.«
Der Franzose erhebt sich aus der Deckung, fuchtelt mit den Armen in der Luft herum und geht dann, ohne ein zustimmendes Zeichen der Berber abzuwarten, furchtlos vorwärts.
»Was ist ein Soff, Selim?« fragt Parvisi schnell den Neger.
»Bei den Kabylen, wie die Berber hier genannt werden, eine Bruderschaft, die ihren Anhängern erhöhten Schutz zusichert. Die Belange des Soffs stehen höher als die der Familie oder des Dorfes. Ein Kabyle gilt als ehrlos, der die Interessen des Soffs im Stich läßt.«
Die Anführer der beiden Trupps reiten langsam, während die langen Ketten ihrer Leute abwartend halten, auf die Wegegabelung zu, bei der der Freund eben angelangt ist.
Es vergeht einige Zeit, bis sie auf den abschüssigen und durch das Wetter glitschig gewordenen Pfaden heran sind. Sie werfen sich finstere Blicke zu.
De Vermont, die Flinte über dem Rücken, grüßt die schwerbewaffneten Eingeborenen: »Allah sei mit euch!«
»Allahs Segen über dich, Fremder!« danken wie aus einem Mund die Kabylen.
»Ich bin El-Fransi und komme, das Dorf der Silunen zu besuchen.«
»El-Fransi? Anaia!« Der von rechts gekommene Silunenführer drängt sein Tier bei diesem freudigen, aber auch wieder drohenden Ausruf schützend vor de Vermont. Seine Flinte fliegt in den Anschlag.
»Anaia!« brüllt der Tulhah, und auch er reißt die Waffe
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