Unter Korsaren verschollen
hoch.
Der Franzose lächelt über die Aufregung der Kabylen.
Dieses Lächeln des Freundes versteht Parvisi noch weniger, als daß Pierre-Charles in dieser bedrängten Lage nicht ebenfalls nach der Schußwaffe greift.
Die Kabylen gleichen zwei auf dem Sprung liegenden Panthern. Wann werden sie aufschnellen? Parvisi ist in höchster Spannung. Es kostet ihm ein Übermaß an Be-herrschung, nicht die Pistole herauszuziehen, um wenigstens etwas in der Hand zu haben, wenn das Unheil los-brechen sollte. Eingedenk der Worte Pierre-Charles’ zu Beginn der Reise, nie etwas anderes zu tun, als er und Selim vormachen würden, zwingt er die zuckende Hand immer wieder, vom Gürtel abzulassen.
»Dieser Mann« – de Vermont weist auf Parvisi –, »der euch unbekannt ist, ist der Bruder El-Fransis. Den Neger brauche ich euch nicht vorzustellen, es ist natürlich Selim, mein Freund. Wie werdet ihr euch zu El-Fransis Bruder stellen?«
»Anaia!« bestätigt der Silune.
»Anaia!« bekräftigt der Tulhah.
Im feindseligen Verhalten der beiden zueinander ändert sich dadurch aber nichts.
»Ich danke euch, Freunde! – Was hat euch bewogen, Krieg zu führen?«
»Die Silunen haben einen unserer Männer erschlagen«, berichtet der Tulhah.
»Allah verfluche dich! Du lügst!« brüllt der Vertreter des beschuldigten Stamms auf. »Du bist selbst Amin, Anführer deines Dorfes, und zweifelst an meinen Worten. Wir werden dieses Verbrechen an unserer Ehre rä-
chen!« Der Silune kocht vor Wut. Noch grollt der Donner in seiner Stimme, als er sich nun zu El-Fransi wendet: »Zieh dich mit deinen Freunden zurück, Bruder, damit ihr nicht, die Allah unseren Herzen nahegelegt hat, in diesen Kampf mit den Tulhah verwickelt werdet.
Wenn die Flecke auf unserer Ehre durch das Blut der Tulhah getilgt sind, werden wir euch ins Dorf geleiten und euch den schuldigen Willkomm entbieten.«
»Ja, El-Fransi, geh zurück zu deinem Platz. Du stehst ebenso in unserer Anaia und bist unserer Rache an diesen falschen Silunen im Weg. Über dich und deine Begleiter werden die Männer der Tulhah wachen.«
Aus den Haltungen der Kabylen schließt Parvisi, daß die zuerst gebannt erschienene Gefahr wieder da ist. Er hat kein Wort von der Unterhaltung, die im Tamasirt, der Sprache der Berber, geführt wurde, verstanden, weiß nicht, um was es überhaupt gegangen ist. Was war es zum Beispiel mit diesem »Anaia«, das ein paarmal auf-klang und anfangs eine Wende zum Guten zu verheißen schien? Eben will er Pierre-Charles leise um die Bedeutung fragen, da wendet sich de Vermont wieder an den Silunen: »Wann geschah der Zwischenfall?«
»Heute morgen während des Gewitters. Ein Mann unseres Dorfes war von fern Zeuge, wie ein Steinschlag den Tulhah vom Tier herabriß und in die Schlucht stürz-te. Ich habe den Amin davon unterrichten lassen, der mir, da seit langem ein gespanntes Verhältnis zwischen unseren Dörfern besteht, anstatt Glauben zu schenken, eine Flinte, das Zeichen des Kampfes, schickte und unseren Boten wider alles Recht gefangensetzte. Dafür habe ich den seinen zurückgehalten.«
»Wo ist der Verunglückte?«
»Noch drunten.«
»Tot?«
»Bestimmt. Schau hinunter, El-Fransi. Wer hier ab-stürzt, geht im nächsten Augenblick über Es-Sirhet, die Brücke des Todes.«
»Möglich, daß du recht hast. Aber du weißt doch: Allahs Wege sind oft wunderbar. Ich will nicht rechten mit euch, nicht mit dir, dem Silunen, und auch nicht mit dir, dem Tulhah. Trotzdem, laßt euch von El-Fransi sagen, daß ihr beide versäumt habt, euch als Wichtigstes um den Mann zu kümmern. Ich, der Freund und Beschützte beider Stämme, bitte euch, laßt die Fehde begraben sein, bis der Verunglückte geborgen ist. Wenn ihr versprecht, Ruhe zu halten, werde ich selbst hinuntersteigen und die Rettung versuchen.«
»Nein, El-Fransi«, lehnt der Tulhah ab. »Der Führer der Silunen hat mich so, wie es eben gesagt wurde, unterrichtet. Ob er die Wahrheit damit sagen ließ – ich enthalte mich jetzt einer Äußerung dazu. Vielleicht kann man Näheres erkennen, wenn der Mann geborgen ist. Ich bin bereit, solange die Waffen ruhen zu lassen. Wir werden ihn herausholen. Seid ihr einverstanden?« Die Frage ist an El-Fransi und den Silunenführcr gerichtet.
»Ich bin es«, bestätigt de Vermont gewichtig, so, als stünde hinter ihm eine große, gefürchtete Streitmacht, die seinen Worten notfalls den erforderlichen Nachdruck verleihen könnte.
»Ich auch. Wir werden euch helfen.« Das
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