Unter Korsaren verschollen
daß die Augen des Schwarzen auch im Hafen über ihn wachen.
Seit einigen Tagen ist die tägliche Reisestrecke wesentlich verlängert worden. Jetzt braucht Parvisi den Stift nicht mehr. Vorwärts, vorwärts, drängt Pierre-Charles.
Abends fällt Luigi zu Tode erschöpft zu Boden. Dann tuscheln die beiden anderen zusammen, rühren aber keinen Finger, dem Erschöpften zu helfen, lassen ihn, der sich wie zerschlagen fühlt, für das Tier sorgen, das Lager richten, befreien ihn nicht von der Wache.
Warum dieses Hetzen und Jagen? fragt sich Luigi. Besteht Gefahr, die du als Neuling nicht siehst?
Pierre-Charles schneidet halbausgesprochene Fragen mit einem kurzen »Es muß sein!« ab.
Warum, warum?
Eines Morgens, nach zweistündigem Ritt zwischen kahlen Bergen, dehnt sich vor ihnen plötzlich – die Wü-
ste. Noch ist es nicht die gewaltige, sich von Düne zu Düne endlos erstreckende Sahara, mehr eine steinige Ebene, aber doch die Wüste, ihr Rand, ihr Anfang: das Dattelland.
Im Augenblick geht es dem Italiener wie seinerzeit Roger de la Vigne mit Afrika: Er fiebert darauf, in das furchtbare, geheimnisvolle Sandmeer einzudringen.
Und Livio wartet!
Umkehren, umkehren, den Jungen retten! Warum dehnt der Freund die Reise bis hier herunter aus? Was soll das alles? Kann er nicht die Gefühle, die Ängste und Sorgen eines Vaters, wenn auch nicht nachfühlen, so doch wenigstens ahnen?
De Vermont war den anderen ein Stück vorausgeritten.
Als man ihn eingeholt hat, ist er über eine Fährte gebeugt.
»Ein Strauß«, erklärt er, nur für Parvisi bestimmt; denn der Neger weiß Bescheid. »Ermüdet. Der Vogel ist sicherlich seit Tagen schon gehetzt, von der Herde abge-drängt.«
Pierre-Charles wirft einen bedauernden Blick auf sein Pferd, auf die Tiere von Luigi und Selim. Kürzlich waren die Maultiere vertauscht worden. Jetzt weiß Parvisi, warum. Weil der Freund jagen will! Nur daran hat er immer gedacht? Verrat? Daß Livio in der Sklaverei, in den Händen der fürchterlichen Türken ist, verblaßt vor der Jagdleidenschaft de Vermonts, der doch mit ernsten Worten versprochen hat, alles daranzusetzen, das Kind zu befreien.
»Schade«, murrt de Vermont. »Ich habe die Tiere über-anstrengt. Mit diesen elenden Kleppern ist kein Strauß einzuholen. Er stiebt uns davon. Und trotzdem: Wir werden ihn jagen!«
»Gut, jagen wir ihn«, meint schicksalergeben Parvisi.
Es hat keinen Zweck, gegen die Leidenschaft des Franzosen zu sprechen, vielleicht gar einen Bruch der bisher doch so guten Beziehungen herbeizuführen.
Selim grinst bei den Worten Luigis, daß die Perlenreihe seiner Zähne nur so blitzt; Pierre-Charles lächelt.
»Wie stellst du es dir vor?« fragt der Franzose schelmisch.
»Nun, ja…« Parvisi ist durch das Verhalten der Freunde unsicher geworden. Es hat den Anschein, als ob eine Straußenjagd anders als eine gewöhnliche Jagd vor sich gehen müßte. So schweigt er lieber, um nichts Dummes zu sagen.
»Eine Straußenjagd ist eine der schwierigsten und lang-wierigsten«, erläutert der Franzose. »Man schießt den Vogel nicht, sondern erschlägt ihn mit einem Stock oder mit dem Kolben der Flinte, um die kostbaren Federn nicht mit Blut zu besudeln und sie dadurch etwa wertlos zu machen.«
»Das ist mir nicht bekannt.«
»Das glaube ich gern, mein Lieber. – Wissen wirst du aber, daß der Strauß ein ganz ausgezeichneter Läufer ist, fähig, Sprünge bis zu drei Meter Weite zu machen. Es muß schon ein ungewöhnlich schnelles und ausdauern-des Pferd sein, wenn es nicht von dem Laufvogel abgehängt werden will. Deshalb bereiten die Beduinen eine Straußenjagd sorgfältig vor.«
Parvisi erfährt in kurzen Worten alles, was über eine Straußenjagd zu sagen ist, daß man das Gewicht von Riemen- und Sattelzeug weitgehend zu vermindern trachtet, überhaupt auf alles Entbehrliche verzichtet, um die Kräfte des Pferdes nicht vorzeitig zu erschöpfen.
Vielfach gelingt es aber nicht, das Wild schnell zur Strecke zu bringen. Man hetzt den Vogel, kreist ihn ein.
Plötzlich reißt sich das geängstigte und bereits ermattete Tier zu einer Gewaltanstrengung auf. Wie der Blitz schießt der Vogel an den Jägern vorüber und in die Weiten der Wüste hinein. Nicht so weit, daß man ihn nicht wiederfände; im Augenblick ist er aber in Sicherheit.
Gut, heute konnte er entschlüpfen, morgen wird man ihn erwischen. Manchmal dauert dieses kräfte- und nerven-fressende Spiel eine ganze Woche. Die Beduinen rechnen damit,
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