Unter Korsaren verschollen
Augen einiger kleiner Diener des Beys gebraucht hat, um die Gefahr bestehen zu können? Dem wirst du dich doch nicht aussetzen wollen!«
Es ist köstlich, wie er sich müht und windet, um die Nachtwache dem Fremden zu überlassen.
Mag er ruhig etwas Angst ausstehen, vielleicht fühlt er dann mit anderen Menschen mit, erkennt, was es für die Sklaven bedeutet, ein Leben in ständiger Furcht führen zu müssen.
»Nichts da. Ihr habt unsere Gesellschaft gesucht, somit seid ihr verpflichtet, an allem, was hier vor sich geht, teilzunehmen«, fertigt ihn Pierre-Charles ab.
In Abbas’ Augen blitzt es auf.
»Ich werde sofort die Wache beginnen«, entschließt er sich.
So ein alter Fuchs! Er weiß genau, daß noch manche Viertelstunde vergehen wird, bis alles zur Ruhe ist; und so früh geht auch noch kein Raubtier auf die Jagd.
»O nein, jetzt noch nicht. Hab Geduld. Ich werde dir schon Gelegenheit verschaffen, dem Panther Auge in Auge gegenüberzustehen.«
»Allah behüte mich! Wo denkst du hin, El-Fransi!«
»Daß du nicht auf Jagdruhm erpicht bist, halte ich für Scherz und falsche Bescheidenheit. Du wirst deshalb während der Stunden des mutmaßlichen Angriffs wachen.«
»Ich? Nein, nein, niemals!« Der Maure zittert, als ob er dem Gegner bereits gegenüberstehe.
»Du fürchtest dich doch nicht etwa?«
Luigi und Selim sind der Unterhaltung mit großem Vergnügen gefolgt. Sie erkennen den Zweck nicht, den Pierre-Charles mit diesem Gewäsch verfolgt.
»Furcht? Ha, als ob ich die jemals gekannt habe! Ich trete dem Löwen…«
»Dann ist ja alles in Ordnung«, schneidet de Vermont den Redefluß des Aufschneiders ab. »Es bleibt dabei, daß du die Wache während der gefährlichsten Stunden der Nacht übernimmst.«
»Oh!« Mehr bringt Abbas nicht heraus. Wie er flehend zum Himmel emporblickt. Allah hat sicherlich bestimmt, daß sein Leben durch den Biß oder Prankenhieb des Panthers enden soll. Fatum, Vorbestimmung, der Mensch kann nichts daran ändern. Vielleicht, daß sich der Allmächtige, Allwissende, Allweise, doch erweichen läßt?
Der Maure läßt die Kugeln der Gebetsschnur durch die Finger gleiten. Leeres Geplärr sind die Gebete; denn er versteht sofort die Worte des Franzosen: »… natürlich nicht allein, sondern zusammen mit mir.« Mit einem Schlag ruhen die Finger; die Lippen zucken nicht mehr in verräterischer Angst.
»Wir zusammen? Ausgezeichnet. Du kannst dich hinter mich stellen. Ich nehme den Kerl allein auf mich. Hab keine Angst!«
Angewidert kehrt Pierre-Charles ihm den Rücken, teilt die Wachen ein und legt sich zum Schlafen nieder.
Luigi und einer der Mauren werden die erste Wache übernehmen. Ihnen folgen Selim mit dem zweiten Begleiter Abbas’, die dann von El-Fransi und dem Groß-
sprecher abgelöst werden.
Selims Zeit ist vorbei. Es war nicht nötig, de Vermont zu wecken. Er wacht wie immer von selbst auf.
Der schlotternde Abbas wird angewiesen, im Lager zu bleiben, aber die Augen offenzuhalten und sofort zu rufen, wenn er Verdächtiges sehen sollte.
Eineinhalb Stunden verstreichen, ohne daß sich etwas regt. Pierre-Charles beobachtet die Pferde. Sie werden ihm eher und besser als alles andere anzeigen, wenn sich das Raubtier nähern sollte. Eines der Tiere schnaubt, andere heben die Köpfe. Wenig später springen sie auf, drängen zueinander, wittern herüber zu dem Felsen, hinter dem Pierre-Charles hockt.
Der Panther nähert sich.
War er es, oder täuschten die Sinne? Huschte da nicht ein Schatten zwischen den beiden Felsen zur Linken vorbei?
Er hat sich nicht geirrt; denn jetzt lugt das Tier hinter den Felsen hervor. Ein leiser Wind geht, so daß das Tier keine Witterung haben kann. Langsam, ganz Katze, geduckt und unhörbar, schleicht der gefährliche Feind heran. Plötzlich verharrt er, minutenlang an den Boden ge-schmiegt. Die Pferde zerren wie toll an den Riemen, mit denen sie angepflockt sind. De Vermont hebt die Flinte.
Ein Klirren von Eisen auf Stein. Parvisis zur Sicherung mitgenommenes Gewehr hat eine Ecke des Felsens ge-streift. Der Franzose preßt die Zähne zusammen. Ohne Zweifel hat das Raubtier den Ton gehört.
Auf springt es. Ein gewaltiger Satz, ein zweiter. Die Entfernung wird kleiner.
Ein in seiner Nachtruhe gestörter Geier streicht durch die Schlucht. Der Jäger blickt auf, schnell, kurz, dann wieder sucht sein Auge den Panther. Wo ist das Tier?
Obwohl der Franzose kein furchtsamer Mensch und ein erfahrener Jäger ist, schlägt sein Herz in
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