Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
„Nicht üblich um die Zeit im Jahr.“
Wir sitzen da und starren auf den Himmel über Wien. Blitze. Donnergrollen, immer lauter. Gismo maunzt und versteckt sich hinter Oskars Schreibtisch. Sie kann Gewitter nicht ausstehen. Sie fürchtet sich. Ich fürchte mich vor ganz anderem.
Ein lauter Knall und es ist finster. Ist das Gewitter daran schuld? Haben sie jetzt eine Wiener Leitung gesprengt? Oder hat sich „Cybersolar“ in die Computerzentrale der Stromversorgung gehackt? Ich sage nichts. Wir alle bleiben stumm. Vier Menschen im Dunkeln. Nicht einmal Vesna scheint etwas einzufallen. Fran ist es, der aufsteht, die Glasschiebetür öffnet und auf die Terrasse geht. Es regnet nicht, eine Sturmbö wirbelt einige dürre Blätter auf, stößt einen Topf mit Rosmarin vom Regal. Nur meine Solarlichter leuchten schüchtern.
„Es ist überall rundum finster“, sagt Fran, als ob er es selbst nicht glauben könnte. Ich stelle den Topf wieder auf, zum Glück ist er aus Plastik, gehe an den Rand der Dachterrasse. Wien ohne Licht. Wie ausgelöscht. Als der nächste Blitz zuckt, renne ich zurück ins Wohnzimmer. Fran kommt hinter mir drein und schließt die Tür.
„Man muss das Radio einschalten“, meint Carmen. „Ich habe das in der Schweiz im Zivilschutz gelernt.“
„Na super, Radios hängen doch am Stromnetz“, antwortet Fran.
„Ihr habt kein Radio, das mit Batterie betrieben wird? Für den Ernstfall?“, fragt Carmen.
Ich versuche meine Gedanken zu sammeln. „Irgendwo muss mein MP3-Player sein. Der hat eine Radiofunktion.“
„Hast du einen Laptop mit Modem?“, fragt Fran.
„Ja, hab ich.“ Blitze zucken. Es beginnt zu schütten.
Ich gehe langsam durch den großen Raum, die große Glasfront zur Terrasse sorgt dafür, dass es hier drinnen wenigstens nicht stockfinster ist. Ein seltsames Flackern. Ich drehe mich erschrocken zu meinen Freunden um. Beinahe hätte ich aufgeschrien. Und dann funktioniert das Licht wieder.
Vesna schaltet den Fernseher ein, Fran setzt sich an den Computer. Auf ORF 1 läuft eine Krimiserie. Dunkelblaues, kaltes Licht und ein Schatten, der einen Gang entlangschleicht. Auf ORF 2 zeigen sie eine Dokumentation aus einer Gegend, in der es hell und heiß ist. Allerdings sieht es so aus, als hätten die Menschen dort nichts zu essen.
„Ein Blitz hat in ein Umspannwerk eingeschlagen, steht da“, ruft Fran.
So etwas ist auch früher schon passiert. „Es ist mir egal. Ich gehe morgen früh zur Polizei und melde, dass Oskar verschwunden ist.“
„Was ist eigentlich, wenn er ist in einem Krankenhaus in Frankfurt?“, fragt Vesna.
Ich starre meine Freundin an. Dass wir daran nicht früher gedacht haben! Man muss die Krankenhäuser durchtelefonieren, die Notaufnahmen. Wo fangen wir am besten an? Was ist die schnellste Methode? „Wenn ich doch bei der Polizei anrufe: Für die ist so etwas Routine.“
„Nicht in der Nacht und nicht, wenn ein erwachsener Mann erst seit so kurzem verschwunden ist“, sagt Carmen. „Wir können die wichtigsten Krankenhäuser raussuchen und jeder ruft welche an.“
Vesna nimmt mich am Arm. „Und du wirst kochen. Ich weiß, klingt dumm. Aber: Ist zweiter Abend, wir essen nicht ordentlich. Wir müssen kräftig bleiben.“
„Ich kann nichts essen“, widerspreche ich.
„Musst auch nicht, bloß kochen, irgendwas. Vielleicht Nudeln.“
Ich nicke. Sie hat ja recht. Wenn sie mir schon alle beistehen, dann sollte ich sie wenigstens nicht hungern lassen. Wie sagt man so schön? Das Leben geht weiter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ohne Oskar weitergehen könnte.
Natürlich haben wir Nudeln im Haus. Spaghetti aglio, olio e peperoncino. Eines von Oskars Lieblingsgerichten. Ich stelle einen Topf mit Nudelwasser zu. Ich nehme viel Olivenöl und wärme es am Herd. Zwei tiefgefrorene Chilis schneide ich fein und gebe sie zum Öl. Werde ich ab jetzt immer für mich allein kochen? Denk an so etwas gar nicht, Mira. Außerdem: Du bist nicht allein. Aber ohne Oskar … Welche Verbindung könnte es zwischen dem verschwundenen Gruber und Oskar geben? Liegt doch auf der Hand: „Pure Energy“. Ich schäle fünf Knoblauchzehen und schneide sie in feine Scheibchen. Ich höre und sehe, wie die drei telefonieren. „Oh, danke.“ – „Nein, Kellerfreund.“ – „Ja. Er ist österreichischer Staatsbürger.“ – „Das kann er leider nicht sein. Er ist eins vierundneunzig groß.“
Das Nudelwasser kocht. Ich lege die Spaghetti ein, stelle die große
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