Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
„Habt ihr eigentlich eine Ahnung, woher die Attentäter den Sprengstoff haben?“
Er versteht sofort, was ich meine. „Von uns ist er jedenfalls nicht. Das wird immer gleich abgeklärt. Die Zusammensetzung der meisten herkömmlichen Sprengstoffe ist ähnlich. Wir haben eine besondere Kleinigkeit dabei, damit wir einfacher identifizieren können, ob er aus unseren Beständen stammt. Fehlanzeige. Der Sprengstoff scheint ziemlich gängig zu sein und üblicherweise für Arbeiten im Gelände verwendet zu werden. Und es dürfte immer der gleiche Sprengstoff gewesen sein. – Das hast du natürlich nicht von mir.“
„Natürlich nicht. – Heißt das, dass auch beim allerersten Anschlag der gleiche Sprengstoff verwendet worden ist?“
„Ja. Man hat trotz des Feuers Spuren gefunden. Und offenbar kann man auch einiges aufgrund der Sprengwirkung nachweisen, ich bin da kein Experte.“
„Warum war dann der erste Anschlag professionell und alle anderen eher dilettantisch?“
„Vielleicht waren sie von der Wirkung des ersten erschrocken, vielleicht wollen sie wirklich bloß drohen“, meint Generalleutnant Christoph Unterberger.
„Danke“, sage ich zu ihm und stehe auf. „Und alles Gute.“
Er ist auch aufgestanden. „Das klingt wie ein endgültiger Abschied.“ Seine Augen sind ganz dunkel. Oder macht das bloß das schummrige Licht hier?
„Na ja“, sage ich, hebe die Arme, lasse sie wieder fallen und versuche ein Grinsen. „Ist wohl besser für deinen Ruf.“
Christoph sieht sich um und drückt mich dann fest an sich. Ich spüre die Muskeln seiner Oberarme. Er lässt mich wieder los, hält mich vorsichtig ein Stück von sich weg und sagt mit Nachdruck: „Bis bald.“ Und nach einer Pause: „Pass auf dich auf. Wenn irgendwas passiert, ruf an. Egal, was die denken.“
Ich habe die Stadtgrenze von Wien schon hinter mir. Ich fahre in zügigem Tempo eine Landstraße entlang, überhole einen Traktor mit Anhänger, auf dem viele gleich große grüne Plastikkisten stehen. Die Weinlese hat begonnen. Ich öffne das Fenster. Kalt ist es immer noch, aber heute wenigstens sonnig. Ich kann die Trauben riechen. Ich kann beinahe den Saft zwischen den Fingern spüren. Ich sollte ein, zwei Tage mit dabei sein, wenn Eva ihre besonders vielversprechenden Trauben mit der Hand erntet. Das meiste macht sie allerdings längst mit einer Lesemaschine. Das spart eine Menge Zeit und die Resultate sind ausgezeichnet – vorausgesetzt, die Maschine ist gut und man hat genug Kapazität, um die Trauben gleich zu verarbeiten. Beinahe wäre ich nach Treberndorf abgebogen, aber dann nehme ich doch den Weg Richtung „PRO!“.
Mein Wertkartentelefon schnarrt. Was ist jetzt wieder passiert? Es ist Vesna, die genau das von mir wissen will. Oh, meine SMS. Nein, es sei bloß Christoph gewesen, der im Espresso gewartet habe. Nicht besonders wichtig. Ich werde ihr demnächst davon erzählen. Ich habe nicht gut aufgepasst, eine Kurve, ich bin zu schnell, rumple über Erde, ich bin von der Straße abgekommen, ich lasse das Telefon fallen, packe das Lenkrad mit beiden Händen, bin wieder auf der Fahrbahn. Ja, alles okay, Vesna, bloß ein kleiner Ausrutscher. Ich beende das Gespräch, bleibe am Straßenrand stehen, atme durch. Man soll eben nicht Auto fahren und telefonieren. Schon gar nicht, wenn man den Kopf so voll hat. Ich sehe rasch auf mein anderes Telefon. Oskar hat versucht, mich zu erreichen. Offenbar hat es im Espresso keinen Empfang gegeben.
„An der Börse gibt es Übernahmegerüchte“, berichtet er. „‚Pure Energy‘ scheint zwei deutsche Energieanbieter aufkaufen zu wollen. Angeblich haben sie es auch auf ‚AE‘ abgesehen.“
„Ist das nicht doch eine Nummer zu groß für ‚Pure Energy‘?“, frage ich. Österreich ist bekanntlich nicht eben riesig, aber immerhin ist ‚AE‘ Marktführer.
„Die haben offenbar mehr als genug Kapital. Das Finanzvolumen der beiden deutschen Unternehmen, um die es geht, liegt deutlich über dem von ‚AE‘. ‚Pure Energy‘ hat über eine Tochterfirma Kredite der Unternehmen aufgekauft. Und es geht das Gerücht, dass sie über andere Firmen schon jetzt Beteiligungen an diesen Energieunternehmen haben.“
„Das sieht nach einem feindlichen Übernahmeversuch aus, oder?“, frage ich.
„Glaube ich eigentlich nicht. Sie werden es im Einvernehmen probieren. Bevor sie sich Ärger mit der Politik einhandeln. Energiewirtschaft und Politik sind bekanntermaßen ziemlich verflochten. Und was
Weitere Kostenlose Bücher