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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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sich bereits ein Fahrgast, aber wer kein eigenes Auto besitzt oder die hohen Benzinpreise nicht bezahlen kann (was aufs gleiche hinausläuft), dem muß eben klar sein, daß er keinen Anspruch auf ein Fahrzeug ganz für sich allein hat. Job beachtet nicht die Kameras, die im Innern des Cittax hinter dickem Panzerglas verborgen sind und jede seiner Bewegungen aufnehmen und dem Sicherheitscomputer im Verkehrslenkzentrum der Stadtpolizei helfen, Verbrechen zu verhindern, von denen es immer noch zuviel in den Cittax und den anderen automatischen Verkehrsmitteln gibt.
    Das Cittax hat drei Sitzreihen, von denen die vorderste von einem Mädchen eingenommen wird, das mit ihrem silbrig angehauchten Haar, dem blaßgeschminkten Gesicht und dem maschinengeschneiderten Boutiquekleid nicht viel anders aussieht als die meisten anderen Mädchen mit siebzehn, achtzehn.
    Sie blättert in Annette, die alles bietet, was die modernen jungen Mädchen interessiert, und sie achtet nicht auf Jobs »Äh, hallo.« Job setzt sich. »Ich dachte schon, heut’ wird überhaupt kein Cittax mehr kommen«, sagt er. »Vor einer Woche war’s soweit. Vier Stunden lang war die Rufsäule blockiert.«
    Das Mädchen mit dem Silberhaar und dem mattrosa Lidschatten hört nicht zu. Sie schlägt die Beine übereinander, so daß das Synthetikkleid raschelt und Job sieht, daß sie blaue, seidige Strümpfe trägt und ihre Beine auch nicht ohne sind. Das Mädchen blättert in Annette und nickt gedankenverloren, als sie endlich den Fotostrip mit Robby, dem Diskokönig, aufschlägt und zu lesen beginnt.
    Job verzieht das Gesicht und sagt nichts mehr, bis das Cittax auf sein Signal hin hält und er aussteigt, während das Silbermädchen erfährt, daß Robby auch das Bundestanzturnier gewonnen hat und nun vor der Entscheidung steht, ob er Britta, seine neue Tanzpartnerin, in die Arme schließen soll, wo doch Karen sie aus ihrem Rollstuhl beobachtet, in dem sie seit dem letzten Training sitzen muß …
    Um Job lastet die Nordstadt auf den Bergkuppen und wälzt sich hinunter ins Tal, wo die Wupper gelb und schmutzig ist wie schon seit Jahrzehnten. Vor zwanzig Jahren hat man die Nordstadt saniert, aber Job fragt sich, ob dies vielleicht nicht nur eine der Gute-Nacht-Geschichten des freundlichen Herrn Wollebolle aus dem Kinder-Sonderprogramm der Gesamtmetall GmbH in RTL 2 ist. Jedenfalls ist es in der Nordstadt schmutzig und baufällig und eng wie eh und je, und er geht schnell, auch wenn die Straßen belebt sind und er eigentlich nichts zu befürchten hat. Vor dem Metrosens verdichtet sich der Menschenknäuel, denn das Sensi-Kino bringt heute Abend (wie seit einer Woche) Albert Grills Hexensabbat – Frauen für den Satan, und zumeist sind es Männer, die vor dem Sensi-Kino stehen.
    Job zwängt sich durch das Gewühl und hastet weiter. Er fragt sich, ob Perez schon auf ihn wartet und sieht an einer Uhr, daß es kurz nach acht ist und Perez vielleicht schon denkt, er ist ein Schlappschwanz oder – schlimmer – noch ein Kind. Er denkt wieder an Storch, der gar nicht aufgesehen oder etwas gesagt hat, als das Cittax hielt und Job einstieg und der noch immer an der gleichen Stelle stand, als der gelbe Wurm aus Leichtplastik um die nächste Straßenecke bog.
    Musik klimpert aus den Kneipen und Restaurants, die sich rasch vermehren, je tiefer er ins Tal kommt, wo die Schwebebahn auf dem Kunststoffgerüst entlangrollt, das schon lange die säurezerfressenen Pfeiler und Schienen aus Metall ersetzt hat. Und nicht nur Musik dringt aus den Kneipen und Spielhallen, sondern auch der Geruch von Bier und Schnaps und Schweiß und Tabakrauch und Deodorant und ähnlichen Dingen, doch über allem liegt die laute, hämmernde Musik, die längst schon alle Stimme aufgesogen hat.
    »Heroiiin«, murmelt jemand gedehnt an Jobs Ohr, aber er ist schon vorbei und hat den Sprecher gar nicht so recht gesehen, der über den Bürgersteig flaniert und ständig nur dies eine Wort sagt, wenn er mit seinen Kristallaugen jemand erblickt, der ihm gewinnträchtig erscheint.
    »… geh’n wir zuerst ins Tanzcenter, und danach trinken wir im Pub noch …«
    »… also, wenn die das Quiz tatsächlich absetzen und Rudi Milan so einfach feuern, also, dann schreibe ich denen ’nen gesalzenen Brief, einen, der sich gewaschen hat, ja, also, und man hat ja auch noch Rechte, oder? …«
    »… mach morgen blau, denn das geht mir wirklich auf den Nerv, da im Keller rumzukriechen und die Mikrofilme für irgendnen Affen

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