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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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rauszukrosen, und das alles für die paar Kröten und …«
    »… da soll man doch mit der Faust dazwischen, hm, ab ins Arbeitslager, hm, wenn du mich fragst, hätte man schon lange machen sollen, hm …«
    Diese Satzfetzen sind wie Spinnweben, und Job muß vorsichtig sein, daß er nicht an ihnen klebenbleibt, weil er sich doch so nach ein paar Worten sehnt, die er mit jemandem reden kann. Aber diese Gespräche, die er so aufschnappt, während er die Straße hinuntergeht und sich der Seitengasse nähert, wo Perez wohnt, sind klebrig wie Sirup und verstopfen Ohren und Geist, und Job interessiert sich eigentlich für ganz andere Dinge. Obwohl – welche genau, darüber ist er sich noch nicht ganz im klaren, aber er ist ja noch jung und denkt, das wird schon werden.
    Und jetzt steht er vor Perez’ Haus und drückt auf den Klingelknopf und ist gar nicht mehr überrascht wie am Anfang, daß hier keine Kameras und Wächter und Sensoren zu sehen sind wie oben auf der Cronenberger Höhe. Denn dort oben, da wohnen nur Deutsche und Leute, die es sich (wenn auch vielleicht nur mit enggeschnürtem Gürtel) leisten können, und hier findet man nur Leute wie Perez und Francesco und Yazma und Milan und solche wie Eberhard, dessen Eltern die Scheine nicht so locker sitzen haben.
    Er hört nun das Gedudel (denn Musik ist es wirklich nicht, was ihm da entgegenschlägt), und während es in der Tür summt und er dagegendrückt und sie aufstößt, wird das Gedudel lauter, und er sieht einen Jungen auf der untersten Stufe des Treppenhauses sitzen. Auf einem Ohr liegt seine Hand und schützt das wohl empfindliche Trommelfell gegen den Lärm der äußeren Welt, und auf das andere Ohr preßt er ein Radiogerät, so groß wie eine flachgeklopfte Zigarettenschachtel, und aus diesem Radio dringt das Gedudel. Job nickt dem Jungen zu, und der blinzelt nur, dann schiebt sich Job an ihm vorbei und versteht erst jetzt deutlich den Text des Liedes (das Gedudel ist), und er fragt sich, wie laut es wohl am Ohr des Jungen klingen mag.
    »… sind überhaupt keine Frau’n zum verhau’n da / und ich wetze in die Sensi-Bar / leg’ mir dort den Reif ums Haar / und dann hab’ ich Geld, und hab’ ich Glück und haufenweise Frau’n / denn / denn / denn / hier sind keine Frau’n zum verhau’n da …«
    Alles wird dann wieder undeutlich und paßt sich der schummerigen Treppenhausbeleuchtung an, der man anmerkt, daß die Stromzuteilungsquoten wieder gedrosselt wurden, freiwillig natürlich, denn wie Job in den Zeitungen liest, regelt sich alles über den Preis, einfach alles, tatsächlich. Fast will er sich den Schweiß von der Stirn wischen, als er die dritte Etage erreicht und Perez’ Wohnungstür offenstehen sieht und den zarten Duft nach Essen und Gewürzen und den zahllosen anderen Dingen wahrnimmt, die in jeder Wohnung zu finden sind, und bevor Job mit der Hand seine Stirn berührt, wird ihm klar, daß das nur eine dumme, abgedroschene Video-Geste ist und er überhaupt nicht schwitzt. Wie als Signal plappert in diesem Moment von oben und unten der Ton der Videos in diesem Hause auf ihn ein, durch Türen gedämpft, aber unzweifelhaft vorhanden, und mit viel Fantasie kann man sich vorstellen, dem eigenbrötlerischen Murmeln eines Waldbachs zu lauschen.
    Job tritt also ein, schließt die Tür und hört Stimmen und Gelächter und aufgeregtes Geraune aus dem Wohnzimmer, und eine große Kerze steht in einer Ecke des Korridors, und Bilder hängen ein wenig schief an den ein wenig schiefen Wänden. Job denkt an die Stunden, die nicht sehr viele sind und die er mit Perez und Hassan und Francesco und Eberhard, den jeder nur Eber nennt, verbracht hat, vor allem mit Perez, der ein paar Jahre älter ist als Job und allein wohnt und mit dem man wirklich auch reden kann, wirklich reden, nicht nur schwätzen oder saufen oder Plastiksätze tauschen. Aber er kennt diese Leute eben nicht sehr lange, er lernt sie noch kennen, aber bis jetzt ist alles richtig und angenehm und vielversprechend.
    Perez hat sich ein Video angeschafft.
    Job sieht den Kasten bereits beim Eintreten, blickt erst dann zu Perez und Eberhard, die auf dem Teppich hocken und an irgendwelchen Zuleitungsschnüren und Blechfolien herumfingern. Das Video ähnelt dem von Jobs Vater, und das bedeutet, daß es entweder ein dreidimensionales oder ein Sensi-Gerät ist; darum wohl auch die Kabelschnüre.
    »Hallo«, sagt Job und setzt sich zu Perez, der aufsieht und zur Begrüßung lächelt, genau wie

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