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Unter Trümmern

Unter Trümmern

Titel: Unter Trümmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Heimbach
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sein.
    „Lass mich!“, gab sie verärgert zurück.
    Er humpelte kurz entschlossen zu ihr herüber an den Herd, ließ eine der beiden Krücken fallen, packte ihren Arm und zog sie aus der Küche in den kleinen Flur und von dort in den Hof, wo sich der Abgang in den alten Gewölbekeller befand. Schnell öffnete er das niedrige, zweiflügelige Tor und zog seine widerstrebende Mutter hinter sich her.
    „Die Lewwerknepp, die Lewwerknepp!“
    Ihre Stimme war fast zu einem Schreien geworden. Sie hatten erst die Hälfte der Kellertreppe geschafft, da gab es einen ohrenbetäubenden Knall. Die Druckwelle der Explosion brachte ihren Sohn aus dem Gleichgewicht und er stürzte die letzten Stufen nach unten, während sie aufrecht stehen blieb. Sie hustete zwei Mal, machte kehrt, stieg die Stufen nach oben und erkannte, dass die Bombe genau da eingeschlagen war, wo ihre Küche gestanden hatte. Entsetzt lief sie über den Hof, nahm keine Rücksicht darauf, dass das Haus jeden Moment einstürzen konnte und stieg über den Steinhaufen und die geborstenen Balken in die Küche. Zwischen den Trümmern erkannte sie den Topf. Verzweifelt begann sie in dem Schutt zu wühlen und nach den Klößen zu suchen.
    Dorothea Becker, die von allen nur Dorle gerufen wurde, schreckte hoch. Es war noch dunkel um sie herum und in dem Zimmer war es kalt. Der Winterwind zog durch den Fensterrahmen und auch die alte Decke, die sie davor gehängt hatte, konnte die ständige Zugluft nicht abwenden. Holz zum Feuern hatte sie keines mehr. Das Wenige, das sie im Herbst gesammelt hatte, war schon vor Weihnachten aufgebraucht gewesen. Aber sie war froh, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Da ging es ihr besser als vielen ihrer Bekannten und Verwandten, denen alles, was sie besaßen, weggebombt worden war. Dafür war ihr Mann vermisst, in Russland, sie war seit zwei Jahren ohne Nachricht, und ihr Sohn Rolf war schwer verletzt aus dem Krieg zurückgekommen. Wie lange er noch überleben würde, wusste sie nicht. Er hatte in Italien, an der Gustav-Linie gekämpft, mitten darin ein Kloster, Monte Cassino. Welch ein Frevel. Kämpfe und Tote in einem Kloster. Da war es passiert. Eine Granate, eine Explosion, er war in der Nähe. Sie mussten ihm das rechte Bein abnehmen und jetzt eiterte der Stumpf immer wieder. Medikamente und Schmerzmittel bekam sie nur auf dem Schwarzmarkt und dorthin hatte Dorle schon alles getragen, was sie besessen hatte. Das Silberbesteck, das gute Porzellan, das sie damals zu ihrer Hochzeit bekommen hatte, die gute Leinenbettwäsche und die historischen Fastnachtsmützen, die ihr Mann gesammelt hatte. Alles weg. Das meiste zu dem Brunner Helmut, der von sich sagte, dass er half, wo die Not am größten war. Ihr Mann, Hans-Joachim, hatte vor dem Krieg hin und wieder für Brunners Vater gearbeitet. Deshalb drückte Brunner jetzt manchmal ein Auge zu, half ihr und gab ihr die Medikamente auch unter Wert. Aber nun hatte sie nichts mehr. So hatte Brunner sie beim letzten Mal, als sie ihm die letzte Fastnachtsmütze aus der Sammlung ihres Mannes gegeben hatte, das letzte Andenken an ihn, weggeschickt. Nicht böse, nicht zornig, als sie nachfragte, jammerte und weinte. Aber bestimmt. Sie war verzweifelt. Rolfs unablässiges Wehklagen zerrte an ihren Nerven.
    „Dieser verdammte Krieg!“, fluchte sie leise vor sich hin und hatte gleich ein schlechtes Gewissen. Fluchen durfte man nicht. Sie musste nach vorne schauen. Hoffen. Der Herr lässt keines seiner Schafe allein. Sie war sicher, dass er auch ihr in dieser schweren Stunde zur Seite stehen würde.
    Und gestern hatte er ihr ein Zeichen gesandt. Durch Franzi, ihre Freundin, mit der sie schon zusammen in die Volksschule gegangen war. Franziska Molitor, deren Mann vor dem Krieg gestorben war, die zwei Söhne hatte, die beide den Krieg überlebt hatten und ihr jetzt helfen konnten. Dorle hatte Franzi, sie wusste nicht mehr, zum wievielten Male schon, ihr Leid geklagt und Franzi hatte ihr wie immer geduldig zugehört. Dieses Mal aber hatte sie die Freundin aber beiseite gezogen und ihr gesagt, dass doch der Kleinmann die Fastnacht angeordnet habe.
    „Kleinmann?“, hatte Dorle, die nicht verstand, wiederholt.
    „Louis Théodore Kleinmann. Der französische Stadtkommandant. Mensch, Dorle, der hat doch gesagt, dass es wieder eine Fastnacht geben soll.“
    Dorle verstand nicht, worauf ihre Freundin hinaus wollte.
    „Der Brunner Helmut, also, der ist doch so ein Fastnachter. Vor dem Krieg, da war

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