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Unter Trümmern

Unter Trümmern

Titel: Unter Trümmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Heimbach
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toten Sohn gefunden hat? Haben Sie ihn in den ersten Wochen des März gesehen?“
    „Nein.“ Franzis Stimme hatte etwas Verzweifeltes. „Das habe ich ja schon gesagt. Ich war krank. Aber Sie hätten Dorle sehen sollen. Ganz apathisch war sie“, erklärte sie weiter. „Ein Häufchen Elend. Sie wollte erst gar nicht zum Rathaus, seinen Tod melden. Sie konnte es nicht. Sie hat stundenlang nur gebetet. Hockte neben dem toten Jungen. Schlimm.“
    Koch glaubte, dass die Frau überzeugt war, dass Dorle Becker nichts mit dem Tod ihres Sohnes zu tun hatte, aber da sie krank gewesen war zu jener Zeit, entlastete dies Dorle Becker nicht. Koch fragte sie nach Dorles Verhältnis zu ihrem Sohn, nach der Verletzung und wie die Mutter damit umgegangen war, bis er zu einer Frage kam, die ihn auch persönlich interessierte.
    „Als wir vorgestern bei Frau Becker waren, war dort auch ein Mann. Herrmann Bauer. Kennen Sie ihn?“
    Franzis Gesicht verfinsterte sich.
    „Und ob!“
    „Das klingt nicht, als ob Sie ihn sonderlich mögen.“
    „Ich halte ihn für einen Betrüger. Und als ich Dorle das gesagt habe, haben wir uns gestritten …“
    „Betrüger? Wie darf ich das verstehen?“
    „Er behauptet, dass er ein Kamerad von Hans-Joachim ist und der ihn gebeten hat, Dorle eine Nachricht zu überbringen.“
    „Was ist daran so schlimm?“
    „Viel“, antwortete Dorle sehr bestimmt. „Er hat sich richtig eingenistet bei ihr und führt sich auf, als ob er der Hausherr wäre.“
    „Frau Becker könnte ihn doch hinauswerfen?“
    Franzi lachte kurz. „Da kennen Sie Dorle nicht richtig. Sie kann viel ertragen. Sie fühlt sich schuldig, das weiß ich. Aber es wäre gut, wenn dieser Bauer endlich weg wäre. Wissen Sie, ich wünsche Dorle, dass sie endlich Ruhe findet. Erst Rolfs Leiden, das ewige Schreien. Sie war ständig unterwegs, um ihm Medikamente zu besorgen. Hat sich ganz aufgerieben. Dann Neubert. Und jetzt dieser Mensch. Immerhin hat sie ihre Arbeit.“
    Koch sah die Frau aufmerksam an.
    „Was arbeitet Frau Becker denn?“, fragte er.
    „Bei einem Franzosen. Ein Capitaine. Sie kocht da. Dorle ist eine gute Köchin. Ich glaube, ohne die Arbeit … das gibt ihr Halt.“
    „Hat Frau Becker denn noch andere Freunde außer Ihnen? Oder Freunde von Rolf, die sich um ihn hätten kümmern können?“
    „Nein. Rolf war eher ein Einzelgänger. Ganz anders als sein Vater. Der ist auf jede Fastnacht und auf jede Sitzung. War überall dabei. In Vereinen und so. Aber Rolf. Nein. Ich habe ja auch Kinder, ein bisschen älter als Rolf, aber die haben nie was miteinander zu tun gehabt. Die haben immer gesagt, dass sie mit Rolf nicht spielen können.“ Sie dachte kurz nach. „Ja, nur einen, den gab es, mit dem war Rolf vor dem Krieg viel zusammen. Der Gerber Peter. Sohn von einem Bauern.“
    Koch wurde hellhörig. Auch Siggi rutschte auf die Kante seines Sessels.
    „Der tote Peter Gerber?“
    „Ja, das ist auch eine schlimme Geschichte. Ermordet.“
    „Und die beiden, Rolf und Peter, kannten sich gut?“
    „Ja, damals. Später nicht mehr. Waren ständig zusammen. Peter ist auch bei Beckers ein und aus gegangen. Dabei waren die beiden ganz verschieden. Hätte keiner gedacht, dass der Rolf und der Peter mal Freunde werden. Ist ja auch später wieder auseinandergegangen.“
    Sie sprachen noch eine Viertelstunde miteinander. Bevor er und Siggi sich verabschiedeten, kam Koch nicht umhin, zu fragen, ob Franzi nichts tauschen müsse.
    „Wie kommen Sie darauf?“, fragte sie.
    Er sah sich um. „Sie scheinen nichts weggeben zu müssen.“
    „Ich habe zwei Söhne“, war ihre schnelle Antwort. „Zwei gute und zum Glück gesunde Söhne, die für mich sorgen.“
    „Tja“, begann Koch das Gespräch mit Siggi, als sie zur Haltestelle zurückgingen, „das hilft Frau Becker nicht so richtig weiter.“
    „Ja“, bestätigte Siggi. „Und Sie würden ihr gerne helfen?“
    „Ja“, antwortete Koch mit einer Klarheit und Offenheit, die ihn selbst überraschte.
    Am Abend fand er einen Brief auf dem Boden seines Flurs, den jemand unter der Tür durchgeschoben hatte. Er kam von Beatrice aus Südfrankreich.
    Koch ging in sein Wohnzimmer und öffnete das Fenster, um frische Luft herein zu lassen.
    Einige Minuten starrte er auf den Umschlag, las auf der Rückseite die Adresse der Absenderin. Ihm erschien sein Leben in Frankreich Millionen Lichtjahre entfernt.
    Er stand auf und suchte etwas zu trinken. Aus irgendeinem Grund fürchtete er sich vor dem

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