Unter Trümmern
durcheinander.
„Wer hat Ihnen das erzählt? Frau Becker? Oder dieser Kerl?“
Koch antwortete nicht.
„Sie lügt doch. Ist doch klar. Und der Kerl? Der war doch da noch gar nicht bei ihr.“
„Anfang März?“
„Genau. Der ist erst später gekommen.“
„So?“, fragte Koch zurück. „Ab wann war er denn da?“
Neubert antwortete wie aus der Pistole geschossen. „Das war erst nach Rolfs Beerdigung. Aber ich kann Ihnen noch was erzählen: Dass der überhaupt ein Begräbnis bekommen hat, das ist auch nicht mit rechten Dingen zugegangen.“
„Was wollen Sie denn jetzt damit sagen?“
„Sie glauben mir nicht, oder? Selbstmörder bekommen kein Begräbnis. Wussten Sie das nicht? Aber der Sohn von der Frau Becker schon. Ist doch seltsam. Sehr seltsam sogar.“
„Werden Sie bitte konkret!“, forderte Koch, der sich nicht einmal richtig über diesen Mann aufregen konnte. Dafür fand er ihn zu armselig.
Er ermahnte sich, dass er ihn nicht unterschätzen durfte.
„Und ich kann Ihnen noch was sagen: Anstatt diesen Kerl, den sie sich ins Haus und wahrscheinlich auch ins … na, egal, geholt hat, sollte sie eine Familie aus der Stadt bei sich aufnehmen. Eine von denen, die bei dem Terrorangriff ihre Wohnung verloren hat.“
„Terrorangriff“, wiederholte Koch und sah Neubert scharf an. „Das ist doch die Sprache der Braunen. Terrorangriff. Wissen Sie nicht, wer angefangen hat damit? Haben Sie noch nie von Coventry, Rotterdam oder Warschau gehört? Terrorangriff! Wenn ich das höre!“
„Wo waren Sie denn?“
Siggi sprang für Koch in die Bresche.
„Ist das Ihr Haus?“
„Ja, mein Haus. Das hat mein Vater gebaut.“
„Und Sie leben alleine darin?“
Koch hörte seinem Assistenten erstaunt zu. Er hatte sich in den Monaten, seitdem sie zusammen arbeiteten, enorm entwickelt. Er war nicht mehr der unbedarfte semmelblonde Engel.
„Meine Frau ist früh gestorben. Und mein Sohn ist für sein Vaterland gefallen.“
„Und jetzt haben Sie viel Platz in Ihrem Haus?“
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Sie haben sicher, so pflichtbewusst wie Sie sind, gleich mehrere ausgebombte Familien aufgenommen.“
Neubert lief rot an. „Was fällt Ihnen ein, junger Mann, so mit mir zu reden? Was haben Sie schon geleistet? Wo haben Sie gekämpft?“
Koch mischte sich ein. „Ich habe eine ganz andere Frage. Beobachten Sie alle Menschen so genau, wie Sie das mit Frau Becker tun? Ist das die alte Blockwartmentalität?“
Nun gab es keinen weißen Fleck mehr in Neuberts Gesicht.
„Was fällt Ihnen ein? Sind Sie selbst scharf auf das Weib? Sie sind ja völlig befangen. Ich werde mich über Sie beschweren. Und mich hier als Nazi abzutun, das wird Sie teuer zu stehen kommen.“
Damit drehte Neubert sich um und knallte den beiden Polizisten das Tor vor der Nase zu.
„Gut gemacht, Siggi!“, lobte Koch.
„Das gibt Ärger. Ich weiß es ganz genau“, erwiderte der.
„Da könnten Sie sehr Recht haben, Siggi“, stimmte ihm Koch zu. „Deshalb genießen wir die ärgerfreie Zeit und gehen noch Mal zu Frau Becker.“
„Aus rein ermittlungstechnischen Gründen.“ Siggi lächelte süffisant.
„Ich kann mich erinnern“, entgegnete Koch, „dass ich vor nicht allzu langer Zeit einen Assistenten hatte, der ruhig, fast schüchtern war, der das Alter geachtet hat, und nun muss ich erkennen, dass ich mich sehr getäuscht habe.“
„Aus Kindern werden Leute.“
„Das fürchte ich auch.“
Zu Fuß gingen die beiden Polizisten die kurze Strecke zu Dorles Haus. Eine Gruppe Kinder, alle zwischen fünf und acht Jahre alt, versperrte ihnen den Weg.
Koch griff in seine Tasche und warf ihnen zwei Münzen zu.
„Wer ist da?“, fragte eine weibliche Stimme, nachdem sie an das Tor geklopft hatten.
„Kommissar Koch“, meldete der sich.
Einige Sekunden blieb es ruhig, bis ihnen geöffnet wurde.
„Entschuldigen Sie bitte, dass wir stören“, sagte Koch schnell, um seine Nervosität zu überspielen. „Ich habe noch Fragen.“
Er konnte seinen Blick nicht von der Frau lassen, die offenbar ihre Haare offen getragen und sie auf die Schnelle hochgesteckt hatte. Einzelne blonde Haare standen wirr von ihrem Kopf ab.
Dorle bat die Polizisten in den Hof. „Wenn Sie möchten, können wir hier bleiben“, sagte sie. „Es ist so schön. Ich bin gerade erst nach Hause gekommen und habe den ganzen Vormittag in der Küche gearbeitet.“
„Bei dem Franzosen …?“
„Woher wissen Sie das?“
„Frau Molitor hat uns
Weitere Kostenlose Bücher