Unter Trümmern
dieses Mannes Franzi nicht mehr zu ihr kam und dass ihre Freundschaft zerbrochen war. Sie wusste auch, dass es an ihr war, sich zu entschuldigen, aber genauso sehr war ihr klar, dass Franzi ihre Drohung wahr machte: Sie würde erst wiederkommen, wenn Bauer weg war.
Aber der Mann hatte sie in der Hand. Das falsche Alibi, das er ihr verschafft hatte. Und da war dieser Traum. Warum sprach sie über Peter Gerber, während sie schlief? Und immer wieder betonte er, dass Hans-Joachim ihn gebeten habe, nach ihr zu schauen, und für Dorle, die schon lange wegen der gefühlten Distanz zu ihrem Ehemann von ihrem schlechten Gewissen geplagt wurde, wäre dies ein eindeutiger Bruch gewesen, wenn sie Bauer rausgeworfen hätte.
Die Stunden im Haushalt der Jarrés’ waren somit zu einer Oase für sie geworden. In manchen Momenten, wenn die Arbeit sie ganz in Anspruch nahm, konnte sie den ganzen Druck, der auf ihr lastete, vergessen. Sie war ein Teil des französischen Haushaltes geworden, sie war kein Fremdkörper mehr, Monsieur und Madame Jarrés riefen sie Dorlé, mit einem betonten „e“.
Sie hatte das belauschte Gespräch schon vergessen und damit Brunner. Sie arbeitete auch nicht mehr dort, weil er das von ihr verlangte, sondern weil sie es wollte. Und diese unbeschwerten Stunden in der Küche würde sie aufs Spiel setzen, wenn sie auf Bauers Wunsch eingehen würde. Diesen Verrat wollte sie nicht begehen.
Aber Bauer ließ nicht locker.
Als sie auch an diesem Nachmittag ohne ein Stück Silberbesteck, einen Füllfederhalter oder eine Porzellantasse nach Hause kam, stieß Bauer sie auf einen Stuhl in der Küche und drohte ihr, wenn sie nicht täte, was er verlangte, würde er zur Polizei gehen und dort von ihrem Traum erzählen. Außerdem würde er überall verbreiten, dass sie beide ein Verhältnis hätten.
„Du lässt einfach in der Küche ein Fenster auf. Verstehst du? Du entriegeltst es einfach. Mehr nicht. Hast du vergessen, wenn dich jemand fragt. Ist das klar?!“
Sie sah nach unten und nickte.
Dorle versuchte sich die Situation in Gerbers Scheune vorzustellen, als Peter sich ihr genähert hatte. Es war wieder ähnlich und doch anders. Bauer berührte sie nicht. Da war eine Grenze und die verhinderte auch bei Dorle, dass sie zum Messer griff und es dem Mann in den Rücken stieß. Aber an diesem Nachmittag, als er breitbeinig vor ihr stand und drohte, hatte nicht viel gefehlt und sie hätte ihre Tat wiederholt.
„Ich bin nur in der Küche“, wand sie sich raus. „Immer ist jemand bei mir“, erklärte Dorle Bauer. „Ich kann nichts Wertvolles mitgehen lassen.“
An seinem Gesichtsausdruck erkannte sie, dass er ihr nicht glaubte.
„Meine Geduld ist bald am Ende!“, drohte er ihr, bevor er das Haus verließ.
Wie jedes Mal nach einem Abend bei Bresson war Koch am nächsten Morgen bestenfalls unausgeschlafen. Schlimmer war es, wenn sein Schädel dröhnte, als ob in der Nacht eine Herde Elefanten darüber getrampelt wäre.
Beim Rasieren schaffte er es sogar, sich mit der stumpfen Klinge, die er schon viel zu lange in Gebrauch hatte, zu schneiden und es dauerte lange, bis er die Blutung gestillt bekam. Er setzte sich an den Tisch und trank schluckweise von seinem Muckefuck, träumte kurz von einem richtigen Bohnenkaffee.
Er war unruhig. Er wusste jetzt, wer die Frau war und wie sie hieß, die so lange in seinem Kopf herumgespukt hatte. Aber das, was er bei ihrer Freundin erfahren hatte, gefiel ihm nicht. Dass Neubert bezüglich des angeblichen Mordes durch die Mutter log, war sicher. Allerdings waren ihre Angaben, was den Todeszeitpunkt anging, nicht richtig. Aber warum hatte sie gelogen? Und diese seltsame Verbindung zu dem toten Peter Gerber. Zufall? Er glaubte eigentlich nicht an Zufälle. Aber wo konnte da die Verbindung liegen?
Von unten drang das Dröhnen einer Autohupe zu ihm in die Wohnung.
Er sah aus dem Fenster. Am Straßenrand stand Siggi neben dem Opel und winkte zu ihm hinauf.
Neubert war sofort am Tor und stellte sich zu den beiden Polizisten auf der Straße.
„Und? Habe ich Recht gehabt? Die hat ihren Sohn doch umgebracht“, legte er gleich ohne Begrüßung los.
„Mal langsam!“ Koch sprach ganz ruhig. „Wir haben die Aussage des Herrn, der bei Frau Becker wohnt. Er bestätigt, dass Rolf Becker sich erst Ende März erhängt hat, also kurz bevor er beerdigt wurde. Und nicht, wie Sie behaupten, Anfang März.“
Neubert schüttelte den Kopf und brachte sein schütteres Haar
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