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Unter Trümmern

Unter Trümmern

Titel: Unter Trümmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Heimbach
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stramm durchmarschiert, nachdem sie Rolf versorgt hatte. An diesem Morgen sah sein Stumpf wieder besonders schlimm aus und er hatte gestöhnt, geweint und gedroht sich umzubringen, weil dieses Leben nicht mehr lebenswert war. Normalerweise ging Dorle nicht aus dem Haus, wenn ihr Sohn in diesem Zustand war. Sie glaubte zwar nicht, dass er seine Drohung wahr machte, aber sie wusste auch, dass sie sich auf ewig Vorwürfe machen würde, wenn er sich etwas antäte, wenn sie nicht im Haus war.
    „Lewwerknepp?“, fragte Brunner. Sie sah dem Mann an, dass er die Fastnacht schon ausgiebig gefeiert hatte, obwohl es nicht viel zu feiern gab. Für Menschen wie sie jedenfalls.
    Dorle nickte und blickte den Mann erwartungsvoll an.
    „Ich kenne deine Lewwerknepp noch. Gut. Sehr gut waren die. Exzellent. Vor dem Krieg. Aber Lewwerknepp an Fassenacht. Du bist doch Meenzerin …“
    Dorle spürte Verzweiflung aufsteigen. Warum sagte der Mann nicht einfach zu? Wenn nun alles umsonst gewesen war?
    „Die besten Lewwerknepp … in dieser Zeit … Fassenacht … ist doch … egal“, stammelte Dorle.
    Brunner ließ sie nicht aus den Augen, legte seine Stirn in Falten.
    „Dazu braucht man doch Fleisch?“ Er sprach das so leise aus, als sei es nur für ihn und nicht die Frau vor ihm bestimmt.
    „Ja“, antwortete sie beflissen. „Lewwer und Schweinehack.“
    „Lewwer. Schweinehack“, wiederholte er und es schien, als denke er über diese Worte und ihre Bedeutung nach. Und wieder nickte Dorle beflissen.
    „Das ist aber nicht einfach zu bekommen …“, befand er und sie spürte, dass sie zu schnell geantwortet hatte. „Warum hast du das Fleisch nicht gegen die Medikamente getauscht?“
    „Weil …“ Ihr fiel nichts ein. Sie war wie festgenagelt. Sie war in der Nacht beim Jupp eingestiegen und hatte einen Menschen niedergestochen. Du sollst nicht töten! Immer wieder dieser Satz. Aber sie hatte es doch nicht gewollt. Hätte er ihr doch nur ein Stück von der Leber und dem Fleisch gegeben. Ein kleines nur. Mehr wollte sie ja nicht. War Peters Geiz nicht genauso gotteslästerlich wie ihre Tat? Sie hatte es für Rolf getan. Für ihren Sohn. Als sie in der Nacht endlich mit dem Fleisch in der alten Tasche nach Hause gekommen war, ohne jemandem begegnet zu sein, konnte sie erst nicht einschlafen. Dieses Bild vom fallenden Peter. Sie konnte das nicht vertreiben. Als ihr endlich doch vor lauter Müdigkeit die Augen zugefallen waren, waren da gleich wieder Peters tote Augen gewesen, die sie anstarrten und anklagten.
    „Pass auf!“, sagte Brunner streng. „Morgen, am Dienstag, kommt Capitaine Claude Jarrés zu mir. Das ist ein französischer Offizier. Einer von Kleinmanns Leuten. Du weißt doch, wer das ist? Der französische Stadtkommandant“, beantwortete er die Frage gleich selbst. „Er hat die Fastnacht erlaubt und ich werde sie morgen mit dem Offizier gebührend beenden. Dafür machst du die Lewwerknepp. Wenn sie uns schmecken, bekommst du deine Medikamente.“
    „Aber ich brauche doch … jetzt … mein Sohn … der Rolf …“, begann sie zu betteln, aber sie sah dem Mann vor ihr an, dass sie ihn nicht erweichen würde und sie willigte ein, weil sie wusste, dass dies ihre einzige Chance war. Rolf würde diese Nacht noch so durchstehen müssen. Und sie auch. Mit seinen Schreien und seinem Stöhnen in den Ohren.
    „Also, morgen Abend um sechs. Und sei pünktlich!“ Ohne Verabschiedung und mit einer schnellen Bewegung drehte sich Brunner um und verschwand hinter einer der vielen Türen, die vom Flug abgingen.
    In der folgenden Nacht träumte Dorle noch einmal, dass ein Bombenangriff all ihre Mühen, ihre schönen Lewwerknepp und die Brühe, zerstören würde. Ein Einschlag in ihrem Haus, in Gonsenheim, auf das während des ganzen Krieges so gut wie keine Bombe gefallen war. In dieser Nacht, in diesem Traum passierte es. Alles kaputt, Rolf die Treppe hinabgestürzt, keine Lewwerknepp.
    Sie schreckte hoch. Es war noch früh und der Traum lastete schwer auf ihr. Müde erhob sie sich, schlich phlegmatisch in die Kammer neben der Küche, versorgte Rolfs Wunde und ließ seine Flüche über sich ergehen. Danach konnte sie nicht mehr einschlafen und setzte sich an den wackeligen Tisch in der Küche, legte das Gesicht in ihre Hände. Heute musste sie ihr Meisterstück abgeben. Heute musste sie sich mit den Lewwerknepp selbst übertreffen. Irgendwann, es war schon hell draußen, begann sie mit den Vorbereitungen. Sie ging in den Keller,

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