Unter Trümmern
schnitt sich mit einem Messer, das auf einem blutigen Holzbock lag, ab, was sie brauchte, steckte ein paar Knochen ein, und überlegte, ob sie mehr als das, was sie für die Lewwerknepp benötigte, einpacken sollte, entschied sich aber für die korrekte Menge und hatte gerade alles zusammen gesucht und wollte die Waren in ihren kleinen, schon verschossenen und ausgeblichenen Rucksack stopfen, als sie ein Geräusch hörte.
„Ich sollte eigentlich die Tür verschließen und dich hier drinnen verrecken lassen“, sagte eine gehässige Stimme, der Dorle die Lust anhörte, sie zu quälen.
War jetzt alles verloren? Nicht nur das Fleisch weg, sondern jetzt würde man sie festnehmen und ins Gefängnis stecken. Was die Leute über sie denken würden, war ihr egal. Aber Rolf! Rolf würde es keine zwei Tage alleine zu Hause aushalten. Er konnte nicht für sich selbst sorgen. Er würde elendig zugrunde gehen, wenn sie sich nicht um ihn kümmerte. All das schoss Dorle binnen Bruchteilen von Sekunden durch den Kopf. Sie musste etwas tun. Sie durfte Rolf nicht im Stich lassen.
Peter kam langsam auf sie zu. Das Licht der Kerze flackerte unruhig hin und her. Sie konnte dem Sohn des Bauern trotz der Dunkelheit ansehen, dass es ihm Spaß machte, sie leiden zu sehen und ihre Qual noch zu steigern.
Er blieb so nahe vor ihr stehen, dass gerade ein Blatt Papier zwischen sie gepasst hätte. Mit seiner vorgestreckten Brust berührte er ihren Busen und wenn er ausatmete, roch sie den sauren Geruch von Wein.
„Na, was willst du hier?“, fragte Peter süffisant und anzüglich. „Hast du dich vielleicht verlaufen?“
Dorle war unfähig, in ruhigen und überlegten Worten zu antworten.
Erst schüttelte sie nur den Kopf, was Peter ein müdes Lächeln abrang, in dem sich sein Gefühl der völligen Überlegenheit deutlich abzeichnete.
„Nein … ich … der Rolf …“, stammelte sie schließlich, und sie konnte dabei beobachten, wie Peter sich an ihrer Hilflosigkeit weidete.
„Du weißt, ich würde dir gerne helfen, Dorle Becker“, sagte er schließlich, „aber Recht ist Recht und muss Recht bleiben.“ Er legte seine Hand auf ihren Hintern. Sie zuckte zusammen.
„Aber Rolf, der … es ist doch nicht für mich … es ist für Rolf“, stammelte Dorle weiter, aber Peter blickte sie nur kalt an.
„Du bist hier eingebrochen. Und ich soll dich laufen lassen? Nur, weil ich Rolf so lange kenne? Es sind harte Zeiten. Ich würde gerne anders handeln, aber ich kann nicht. Das musst du verstehen, Dorle Becker. Ich werde dich jetzt in eine Kammer sperren und da bleibst du so lange, bis die Polizei kommt. Oder du …“ Trotz der Dunkelheit wusste sie um den lüsternen Glanz in seinen Augen.
Verzweiflung, tiefe Verzweiflung machte sich in Dorle breit. Sie war diesem Menschen hilflos ausgeliefert. Das alles hätte sie ertragen, irgendwie, wie sie in den letzten Jahren so vieles ertragen hatte, aber Rolf alleine zu lassen, ihn alleine leiden lassen, das konnte sie nicht.
Sie sah Peter in die Augen und sie erkannte, dass er kein Jota von seinem Vorhaben abrücken würde. Von ihm war keine Gnade zu erwarten.
Als Peter sie mit seiner anderen Hand um die Hüfte fasste und sie ganz an sich ziehen wollte, handelte sie. Sie nahm das Messer, das neben ihr in einem der aufgehängten Tierleiber steckte. Sie wusste nicht, woher sie die Kraft nahm, woher die Sicherheit kam, mit der sie den Griff umfasste und das Metall aus dem Fleisch zog. Es war eine einzige, geschmeidige Bewegung, das Rausziehen, die minimale Drehung ihres Körpers und der Stich in Peters Rücken.
Fassungslos sah er sie an.
Sie wich zurück. Lautlos sackte Peter langsam zusammen. In seinen Augen las sie unendliche Verwunderung, als hätte er eine Erscheinung. Dann schlug der Leib des Mannes auf dem Boden auf.
Entsetzt starrte Dorle die Leiche an. Mechanisch steckte sie das blutige Messer in ihren Rucksack, packte das Fleisch und die Knochen dazu und verließ den Hof auf demselben Weg, den sie gekommen war.
Misstrauisch schaute der große, schlanke Mann auf Dorle herab, als sie Montagvormittag auf dem Marmorboden im Flur von Brunners Haus stand, um ihm das Angebot zu machen. Lewwerknepp gegen Medikamente. Die besten Lewwerknepp. Und sie fügte hinzu, „… genau das Richtige für die Fassenacht.“
Brunners Misstrauen war Ernst gewichen. Abwartend schaute er die Frau mit dem geröteten Gesicht und dem Flehen in den Augen an. Sie war von ihrem Haus den Weg bis zur Jahnstraße
Weitere Kostenlose Bücher