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Unter Trümmern

Unter Trümmern

Titel: Unter Trümmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Heimbach
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haben nichts!“, drang von drinnen eine gereizte Stimme.
    „Die Dorle ist es“, rief sie zurück und wartete.
    Es dauerte noch fünf Minuten, bis sie Schritte hörte und das Schieben des Metallriegels.
    „Was willst du?“, fragte Peter, nachdem er das Tor nur so weit geöffnet hatte, dass er seinen Kopf durch den Spalt stecken konnte. Er sagte das in einem Tonfall, als ob er die Mutter seines früheren Freundes nicht erkannt hatte.
    „Ich bin’s, die Dorle“, antwortete die schüchtern. „Ich soll dich von Rolf grüßen.“
    Sie wartete auf eine Reaktion.
    „Er ist krank. Sehr krank“, setzte sie hinzu, nachdem Peter keine Anstalten gemacht hatte, irgendwie zu reagieren.
    „Ja und?“
    Endlich sagte er etwas. Aber das kam so kühl, dass Dorle schlucken musste. Was hat der Krieg nur aus den Menschen und den Kindern gemacht, überlegte sie.
    „Na dann!“
    Peter zog seinen Kopf zurück. Dorle fürchtete, dass er das Tor wieder verschließen würde.
    „Nein, Peter, warte!“, rief sie, lauter als sie es beabsichtigt hatte, fast schrill.
    „Was denn?“
    „Rolf ist krank und …“
    „Das hast du schon gesagt“, unterbrach er sie rüde.
    „Er braucht Medizin“, beeilte sie sich zu sagen, innerlich zitternd vor Angst, dass Peter das Tor schließen würde, bevor sie ihren Wunsch geäußert hatte.
    „Ich brauche Leber und Hack. Und Knochen für die Suppe. Damit ich die Medikamente für Rolf kriege. Er hat so fürchterliche Schmerzen.“
    „Alle haben Schmerzen. Wenn ich jedem, der Schmerzen hat, was geben würde, würde ich bald selbst verhungern. Ich habe nichts. Ich kann dir nichts geben.“
    „Aber Rolf ist doch dein Freund. Ihr habt doch …“
    „Lass mich damit in Ruhe!“, schnauzte Peter sie an. „Ich habe nichts, ich gebe nichts. Jeder muss zusehen, wie er in diesen Zeiten durchkommt.“
    Und bevor in Dorle die Wut über diese Worte so richtig aufsteigen konnte, hatte Peter das Tor schon zugeknallt. Erschrocken wich sie zwei Schritte zurück.
    Auf dem Weg nach Hause schossen Dorle die Tränen in die Augen. Sie wusste, dass tagtäglich viele Leute bei den Bauern vorbeikamen und sie um Essen anbettelten. Aber Rolf war doch Peters Freund gewesen, sie waren zusammen in der Schule und in der HJ, hatten die Zeltlager zusammen gemacht. Wie oft hatte Peter bei ihnen in der Küche gesessen und mit ihnen zusammen gegessen? Zählte das alles nichts mehr?
    Zu Hause saß sie zusammengesunken am Küchentisch und überlegte vergebens, woher sie ein Stück Leber und etwas Hack für die Lewwerknepp bekommen könnte. Sie hörte das Klopfen der Krücken und die Schritte hinter sich nicht und fuhr erschrocken herum, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte.
    „Was ist los, Mutter?“, vernahm sie Rolfs leise Stimme.
    Sie zögerte, wollte ihren Sohn nicht damit belasten, aber schließlich erzählte sie ihm, was sie vorhatte und was heute vorgefallen war.
    Rolf hatte ihr gegenüber Platz genommen und sah seine Mutter schweigend an.
    „Dieses miese Schwein!“, stieß er schließlich hervor und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Plötzlich fuhr er hoch.
    „Ich werde dir das Fleisch besorgen“, sagte er.
    „Du?“
    „Ja, ich“, bestätigte Rolf. „Ich weiß, wo der Jupp das Fleisch versteckt und ich weiß, wie man dahin kommt. Das ist bestimmt noch alles so wie vor dem Krieg. Da kommt auch die Rosi nicht hin.“ Rosi war der alte Schäferhund vom Gerber.
    „Stehlen willst du, Rolf?“, fragte Dorle ungläubig. „Das darf man nicht. Denk an das siebte Gebot. Du sollst nicht stehlen.“
    „Mutter. Das gilt in normalen Zeiten. Aber jetzt sind keine normale Zeiten.“ Rolf hatte seine Stimme erhoben, war laut geworden. Das strengte ihn so an, dass er wieder zusammensackte und laut aufstöhnte.
    „Nein, Rolf, schweig!“, versuchte Dorle ihm zu widersprechen. Es fiel ihr schwer, denn es zerriss ihr das Herz, ihren Sohn, ihren einzigen Sohn, alles, was ihr noch geblieben war, nachdem ihr Mann vermisst wurde und ihre Schwester bei einem Bombenangriff mit ihrer Familie umgekommen war, so leiden zu sehen. Auch wenn sie kein eigenes Leben mehr führte.
    Sie würde es nie zugeben, aber in den Monaten, seit Rolf wieder zu Hause war, mit dieser Verletzung und diesen Schmerzen, hatte sie oft an Gott gezweifelt. Und dafür hasste sie sich. Aber sie konnte nichts dagegen machen. Nur mit Mühe konnte sie ihre Flüche gegen den Herrn unterdrücken.
    „Nein, Mutter, ich werde nicht schweigen.“ Und er sprach

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