Unter Trümmern
ähnlich. Gerber galt als fleißiger, aber geiziger Bauer, sehr auf sein eigenes Wohl und das seiner Familie bedacht. In der Partei hatte er sich nicht besonders hervorgetan, war regelmäßig auf den Versammlungen der Ortsgruppierung, hatte die eine oder andere kleine Aufgabe übernommen. Lediglich eine Person machte eine Bemerkung, dass der Bauer von einem Mann, der auswandern wollte, dessen Ländereien für viel zu wenig Geld übernommen hatte.
Auch bezüglich Brunner, nach dem Koch im Nachklapp jedes Mal fragte, waren die Antworten denen von Frau Weinold sehr ähnlich. Er galt als raffiniert, sehr geschäftstüchtig, manche Aussagen konnte der Kommissar auch als „kaltblütig“ und „gewissenlos“ interpretieren, aber eben auch hilfsbereit.
Gegen zwei Uhr stand Koch vor einer Bäckerei. Kurz zuvor hatte es sehr heftig zu stürmen und zu regnen begonnen. Schnell trat er in das Innere des kärglich eingerichteten Verkaufsraums mit den leeren Regalen, um die letzte Befragung an diesem Tag durchzuführen. Danach wollte er zurück in die Polizeidirektion, um zu erfahren, ob Siggi bei seiner Suche nach dem Mercedes erfolgreich gewesen war.
In dem Ladenraum standen drei Frauen beisammen, als er eintrat. Er sah zu ihnen herüber und übersah dabei völlig eine Frau mit einem Schirm in der Hand, die von rechts kam und den Laden verlassen wollte.
„Tschüss, Dorle“, hörte er noch eine der anderen Frauen sagen, und „Grüß mir den Rolf. Das wird schon wieder“, da war er auch schon mit ihr zusammengestoßen.
Der Boden war feucht und glatt, ein Bein rutschte ihr weg, sie wollte sich an ihm festhalten, er griff ebenfalls nach ihr und schon lagen sie auf dem Boden. Immerhin war Koch geistesgegenwärtig genug, dass er sich im Fallen so drehte, dass die Frau auf ihn fiel. Und dann lagen sie da, sie auf ihm, die Gesichter nur wenige Millimeter voneinander entfernt und sie starrten sich an. Im Hintergrund begannen die Frauen zu lachen, ein befreiendes Lachen aus vollem Hals, ohne Bösartigkeit oder Häme, einfach ein Lachen über die Situation, die das Elend für einige Momente vergessen ließ.
„Das war doch ein Tänzchen“ und „Dorle, du schmeißt dich aber ran“ und noch andere Sprüche prasselten auf die beiden noch immer benommen auf dem Boden Liegenden herab, die kurz zu den Frauen blickten und gleich wieder sich ansahen.
„Sie müssen …“, sagte die Frau zu Koch, der sich daraufhin schnell erhob, und ihr seine Hand entgegenhielt, die sie ergriff und sich von ihm hochziehen ließ. Schon lange war er keiner Frau mehr so nahe gewesen.
Er trat zur Seite und entschuldigte sich. Dabei bückte sie sich und hob ihren Schirm, der ihr bei dem Sturz aus der Hand gefallen war, schnell auf.
„War ja meine Schuld“, sagte die Frau, sah noch einmal zu den anderen und blieb unschlüssig in der Tür stehen.
Koch war das peinlich. Er ging die wenigen Meter zu den drei Frauen und spürte wieder seinen Oberschenkel.
„Paul Koch, Kommissar“, stellte er sich vor.
Dabei griff er in seine Hosentasche und zog seinen Ausweis heraus, den er der Bäckersfrau entgegenhielt, die leicht erschrocken darauf sah.
„Keine Angst, ich habe nur ein paar Fragen“, sagte er mit beruhigender Stimme. „Sie kannten doch den Peter Gerber?“
Bei diesen Worten verließ die Frau in Kochs Rücken den Laden, ohne ihren Schirm aufzuspannen, obwohl es noch immer stürmte und regnete.
Die Bäckersfrau nickte. „Der Arme“, sagte sie und bekreuzigte sich.
Doch auch die Frauen in der Bäckerei wussten dem Kommissar nichts Neues zu berichten. Auch sie glaubten, dass ein Einbrecher, wahrscheinlich einer von den Displaced Persons, denen viele Diebstähle und Überfälle zur Last gelegt wurden, auf der Suche nach Lebensmitteln von Peter überrascht worden war und es zu einem Kampf gekommen war, der für den Bauernsohn tödlich geendet hatte.
Koch bedankte sich, verließ das Geschäft und sah sich draußen um. Er hatte gehofft, die Frau, mit der er vorhin zusammengestoßen war, noch zu sehen. Vielleicht konnte er sie ja zur Entschädigung für seine Ungeschicklichkeit einladen. Ohne auf den Regen zu achten, lief er die Straße in beiden Richtungen ab, aber die Frau blieb verschwunden. Schließlich gab er auf und ging zur Straßenbahnhaltestelle „Breite Straße“.
Die Straßenbahn rumpelte in die Stadt zurück. Koch hatte einen Fensterplatz bekommen, wischte sich mit dem Ärmel seiner feuchten Jacke über die Augen und blickte nach
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