Unter Trümmern
Richtige Bestien.“
„Da haben Sie Recht“, pflichtete Koch der Frau bei, „aber haben Sie irgendetwas gesehen? Einen Einbrecher? Jemand, mit dem sich der Peter gestritten hat? Jemand, mit dem er Tauschgeschäfte gemacht hat?“
„Nein, nein, ich habe nichts gesehen.“ Sie war sehr bestimmt.
„Keine Geschäfte …?“
„Ja“, grübelte Frau Weinold, „welcher Bauer macht keine Geschäfte? Und jeder …“, sie machte eine Pause und Koch schwieg. „Jeder Bauer“, fügte sie nach einigen Sekunden völliger Stille hinzu, „hat so seine geheime Kammer.“ Sie beugte sich vor, als ob sie dem Polizisten ein ganz großes Geheimnis verraten wolle. „Wäre ja auch ganz schön blöd, wenn er das so ganz offen machen würde, verstehen Sie, Herr Kommissar.“ Sie sah sich um, als fürchte sie, dass jemand Fremdes in der Küche wäre.
„Eine geheime Kammer …“, sagte Koch, mehr zu sich selbst als zu der Frau ihm gegenüber.
„Ich habe nichts gesagt. Jeder muss ja sehen, wie er durchkommt.“
„Das ist eine schwierige Zeit, für alle eine schwierige Zeit“, sagte Koch vieldeutig. „Frau Weinold, Sie haben gesagt, dass der Gerber gleich in die Partei ist. Was hat der da gemacht?“
Unruhig knetete die Frau ihre Hände, sah kurz zu dem Kommissar und sofort wieder auf ihre Hände.
„Also“, begann sie schließlich, „der hat nichts … also nicht das, was Sie denken …“
„Ich denke gar nichts, ich weiß ja nicht, was der Herr Gerber gemacht hat in der Partei.“
„Ja, eben, der hat gedacht, dass er mehr verdient oder so, dass er keinen Ärger kriegt, wenn er mal nebenbei … Sie wissen …“
„Was nebenbei?“
Die Frau wurde noch unruhiger. „Es machte halt jeder so seine Geschäfte, von den Bauern, meine ich, hat nicht alles abgegeben, sondern selbst verkauft oder versteckt. Aber, der hat auch, ich meine, der Gerber hat auch Opfer gebracht. Zwei Söhne sind gefallen, auch der älteste, der den Hof übernehmen sollte. Er weiß noch nicht mal, wo die liegen.“ Sie hatte sich wieder ein wenig beruhigt.
„Danke, Frau Weinold.“ Koch dachte einen Moment nach. „Noch eine Frage. Kennen Sie den Brunner? Den Helmut Brunner?“
„Den Brunner …“ Gleich war die Frau wieder nervös. „Ja, ja, ich kenne den, nein, kennen ist zu viel. Wie man im Ort eben die Leute kennt. Wissen Sie? Der macht ja viel hier. Hilft auch viel. Baut und wer Hilfe braucht, dem macht der Brunner nicht die Tür vor der Nase zu.“
„Und sonst?“
„Sonst? Was soll denn sonst sein?“ Etwas Ungehaltenes lag in ihrer Stimme. „Nichts. Er arbeitet viel. Sehr viel. Wie schon sein Vater.“
„Haben Sie ihn mal persönlich getroffen?“
Nun lachte die Frau kurz auf. „Nein, nein. Wieso? Ich habe ihn gesehen, im Auto, er hat so ein großes Auto, ganz schick … so ein Mercedes oder so.“
„Wenn er hier durchgefahren ist …“
„Ja, ja“, bestätigte Frau Weinold, „aber einmal …“
„Ja?“
Sie überlegte. „Ach, nichts, das war eigentlich ganz lustig.“ Wieder zögerte die Frau einen Moment, dabei lag aber ein ganz fein angedeutetes Lächeln auf ihren Lippen.
„Ach, Sie wissen ja, wie die Menschen so sind. Einmal war der hier, der Brunner, meine ich, war beim Gerber, und hat sein schönes Auto an der Straße stehen gehabt. Und dann haben die Kinder draußen angefangen, also sind zu dem Wagen, und haben dran rumgespielt. Und auf einmal war die Tür auf, einer von den Bengeln ist eingestiegen und dann kam der Brunner. Uiuiui, ich kann Ihnen sagen. Der feine Herr Brunner. Ganz rot war der im Gesicht. Wie die Feuerwehr. Und gebrüllt hat der. Die Jungs sind gleich weg, der Brunner hinter ihnen her, ganz außer sich. Und als er merkte, dass er die nicht mehr kriegt, hat er sich gebückt, um einen Stein aufzuheben und nach den Jungs zu schmeißen.“ Die Frau konnte nun bei der Erinnerung an das Ereignis ein lautes Lachen nicht mehr unterdrücken. Koch war auf die Pointe gespannt.
„Der Stein war …“ Sie lachte noch einmal, verschluckte sich, hüstelte und räusperte sich, fand endlich ihre Sprache wieder. „Das war ein Pferdeappel.“
„Ein … Stück Scheiße?“
„Ja, genau. Pferdescheiße.“ Jetzt lachten beide, Frau Weinold und der Kommissar, und sie hatte viel von ihrer Anspannung verloren, als er bald darauf ihr Haus verließ.
So unterhaltsam wie bei Frau Weinold waren die weiteren Befragungen, die Koch in den nächsten zwei Stunden durchführte, nicht. Aber im Tenor waren sie sehr
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