Unter uns Pastorentoechtern
ich nicht, daß er Sie wirklich geschlagen hätte. Er würde eher seine Frau schlagen.“
„Was ich nicht verstehe, ist, wie mein Name da hineingezogen worden ist“, sagte ich.
„Oh! Sie sind bei weitem nicht der einzige, den es getroffen hat. Er hatte eine Liste von Männern bei sich, die er aufsuchen wollte, um sich von ihnen ein Geständnis unterschreiben zu lassen. Er fing gerade mit der Liste an, als er zu Ihnen kam.“
„Aber wie ist er zu dieser Liste gekommen?“ fragte ich völlig verdutzt.
„Es war folgendes“, erklärte Will. „Als er aus der Armee kam, war er nicht mehr ganz richtig im Kopf. Er hatte gehört, wie manche Soldatenfrauen — äh — , Sie wissen schon, und er hatte sich in den Kopf gesetzt, daß es bei seiner Frau genauso war. Ich bin sicher, daß sie nie etwas dergleichen getan hat. Sie ist eine ordentliche kleine Frau.“
„Ganz meine Meinung“, sagte ich. „Sie schien mir eine Frau zu sein, die sich sehr zurückhält.“
„Wie auch immer“, fuhr er fort, „er machte ihr immer wieder Vorwürfe und schlug sie, um die Namen all der Männer zu bekommen, mit denen sie sich angeblich eingelassen hatte. Heute nachmittag , als er von der Arbeit zurückkam, drang er wieder auf sie ein. Inzwischen hatte sie genug. Sie sagte ihm, sie würde ihm eine Liste geben.“
„Und tat sie das?“ warf ich ein.
„Sie setzte sich hin und schrieb sie auf“, sagte der Polizist. „Sie notierte die Namen von Männern, die alles andere tun würden als so etwas. Sie waren der erste, weil sie Sie noch frisch in Erinnerung hatte. Dann standen noch Mr. Evans, der Pastor der Calfaria-Gemeinde, Stadtrat Waters und solche Leute darauf. Sie dachte, daran würde er erkennen, wie dumm es von ihm war, sie zu verdächtigen. Doch kaum hatte sie sich versehen, hatte er sich seinen besten Anzug angezogen und war losgezogen.“
„Und was wird jetzt passieren?“ fragte ich.
„Nun, ich habe ihn wegen seines Verhaltens verwarnt“, sagte Will Notizbuch. „Keine Sorge, Sie werden keinen Ärger mehr bekommen. Nur seine Frau tut mir leid. Der Mann muß in Behandlung. Jetzt liegt es an der Ärztin.“
Ich mußte lachen.
Der Polizeibeamte blickte erschrocken drein.
„Das ist der Schock, der sich jetzt löst“, sagte er. „Sie sollten sich lieber eine heiße Tasse Tee mit viel Zucker und danach ein paar Aspirin einverleiben. Sonst können Sie heute nacht nicht schlafen.“
Ich tat weder das eine noch das andere, aber ich schlief wie ein Stein.
17
„Es wird Zeit für einen Besuch bei Miss Bradshaw.“ Offensichtlich war der Pfarrer in sadistischer Stimmung, als er mir in der Morgenbesprechung diese Aufgabe zuteilte. Ein Besuch bei Miss Bradshaw war eine schwere Prüfung.
Die fragliche alte Dame wohnte in einem übelriechenden Slum in der Bevan’s Row. Bärtig, ungewaschen und ungekämmt war sie für die Kinder in der Straße eine Quelle des Vergnügens und für die Erwachsenen ein Ärgernis. Das Haus war voller Katzen. Sie hockten auf dem Tisch, auf den Stühlen und auf allen anderen verfügbaren Möbelstücken — überall, nur nicht auf dem Fußboden.
Rauch aus einem ungesäuberten Kamin erfüllte die Zimmer im Erdgeschoß. Der seltene Besucher sah, mit den Worten des Apostels Paulus, „durch einen Spiegel ein dunkles Bild“. Schwefel, Katzen und vergammelte gekochte Fischköpfe verbanden sich zu einem unvergeßlichen Geruch.
An jenem Nachmittag folgte ich der üblichen Routine für einen Bradshaw-Besuch. Nach einem Klopfen an dem schmutzigen Türklopfer öffnete ich die Tür und rief: „Miss Bradshaw!“ Der nächste Schritt war, mir einen Weg durch den Flur zur Tür des mittleren Zimmers zu bahnen. Das war keine leichte Aufgabe, weil dieser Weg zwischen zu beiden Seiten hoch aufgestapelten, Bündeln alter Zeitungen hindurchführte.
Ich klopfte an die Tür des mittleren Zimmers und rief, dem Ritual entsprechend, noch einmal: „Miss Bradshaw!“ Es kam keine Antwort. Ich öffnete vorsichtig die Tür.
Zu meinem Entsetzen sah ich durch den Nebel hindurch die Gestalt der alten Frau vor dem Kamin liegen. Ein helles Feuer brannte im Kamin, wo ein Kochtopf voller Fischköpfe sich durch seinen Geruch bemerkbar machte.
Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoß, war der an eine möglicherweise notwendige Mund-zu-Mund-Beatmung. Mir wurde sofort schlecht.
Langsam näherte ich mich der Gestalt. Ich betete, daß sie noch atmete. Zu meiner ungeheuren Erleichterung hörte ich ein
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