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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ich in die Chiyoda-Linie umstieg. Dem Sarin war ich zwischen den Haltestellen Kasumigaseki und Kokkai-Gijidomae ausgesetzt.
    Wenn ich in Kasumigaseki umsteige, setze ich mich immer in den ersten Wagen der Chiyoda-Linie, weil ich dann dem Aufgang, den ich zu meiner Firma nehme, am nächsten bin. Als ich auf dem Bahnsteig ankam, läutete es schon, und ich sprang schnell noch in die Bahn, aber dann blieb sie einfach stehen. Zwei Bahnbeamte wischten den Boden vor mir. Eine wässrige Flüssigkeit war aus einer Schachtel herausgeflossen … Natürlich hatte ich damals keine Ahnung, aber es war Sarin. Die Bahn wartete, während die Beamten die Flüssigkeit aufwischten. Deshalb hatte ich sie auch noch gekriegt.
    Nein, sie wischten den Boden nicht mit Lappen, sondern benutzten Zeitungspapier dazu. Dieser Kasten schien auch in Zeitungspapier eingewickelt gewesen zu sein, und sie benutzten es, um den Boden zu reinigen. Die Bahn sollte ja so schnell wie möglich weiterfahren, und da hatten sie keine Zeit, sich Wischlappen zu holen. Ein Beamter trug den Kasten nach draußen, und der Zug fuhr endlich ab. Später habe ich erfahren, dass er gestorben ist. Der andere Beamte, der ihm geholfen hatte, starb einen Tag später.
    Die Bahn hatte ungefähr fünf Minuten gehalten. Die ganze Zeit hatten die Beamten direkt vor meiner Nase sauber gemacht. Die Bahn war nicht besonders voll, aber es war kein Sitzplatz mehr frei. Deshalb war ich stehengeblieben und hatte ihnen bei der Arbeit zugesehen. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kommt es mir so vor, als sei da ein Geruch gewesen, aber damals habe ich nicht darauf geachtet und mir nichts dabei gedacht. Aber alle Fahrgäste husteten, als hätte jemand etwas zurückgelassen, das nun verdunstete. Aber trotzdem stand niemand auf und wechselte den Platz. Als der Zug abfuhr, war der Boden immer noch feucht, und ich entfernte mich vier oder fünf Meter von der Stelle.
    Bis ich in Kokkai-Gijidomae ausstieg, fiel mir in dem Zug weiter nichts Besonderes auf. Wie gesagt, viele husteten, aber mehr war nicht. Ich machte mir keine weiteren Gedanken und ging ins Büro. Wir haben dort ständig den Fernseher laufen, damit wir die Wechselkurse verfolgen können. In den Nachrichten sah ich, dass etwas Seltsames im Gange war. Es herrschte ein Riesenaufruhr. Hauptsächlich wurde Tsukiji gezeigt.
    Übrigens war ich am Tag davor gerade erst von einer zehntägigen Geschäftsreise nach Südamerika zurückgekommen. Der nächste Tag war Feiertag, Frühlingsanfang, und ich hätte eigentlich nicht ins Büro kommen müssen, aber ich wollte nachschauen, was sich so angesammelt hatte. Jedenfalls wunderte ich mich über die unangenehme Dunkelheit im Büro. Zuerst kam ich gar nicht auf die Idee, dass in der Bahn, mit der ich gefahren war, Sarin gewesen war, aber dann fühlte ich mich allmählich immer schlechter. Verengte Pupillen seien ebenfalls ein Symptom, hieß es im Fernsehen. Meine Kollegen rieten mir, sofort ins Krankenhaus zu fahren.
    Zuerst suchte ich einen Augenarzt in der Nähe auf und ließ mir die Pupillen untersuchen. Auch wechselndes Licht brachte sie nicht dazu, sich zu verändern. Einige Polizisten waren schon dort gewesen, um sich untersuchen zu lassen, und man hatte sie ins Akasaka-Hospital in der Nähe überwiesen. Dort waren auch schon Opfer des Anschlags eingetroffen, bei denen man wie am Fließband den Blutdruck maß usw. Bis dahin hatte man noch kein Gegenmittel. Ich kam für eine halbe Stunde an einen Tropf, dann hieß es: »Diejenigen, denen es besser geht, können nach Hause gehen. Kommen Sie bitte morgen wieder.« Sie machten keine Blutuntersuchung. Wenn ich es jetzt bedenke, haben sie mich im Akasaka-Hospital überhaupt nicht gründlich untersucht.
    Dass ich eine Sarin-Vergiftung hatte, wusste ich jetzt aus dem Fernsehen. Ich war in genau der Bahn gewesen, genau in dem Wagen … Im Akasaka-Hospital wurde ich nur sehr notdürftig behandelt. Was blieb mir anderes übrig, als nach Hause zu gehen und zu sterben ( lacht )? Obwohl ich noch gut dran war, denn ich hatte in der Bahn gestanden und war dann nach hinten gegangen. Die Leute, die sich nicht weggesetzt hatten, lagen lange im Krankenhaus. Das habe ich später von einem Polizeibeamten erfahren, der den Fall untersuchte.
    Weil sich meine Pupillen einfach nicht erweitern wollten, ging ich ungefähr zehn Tage lang täglich ins Akasaka-Hospital zum Augenarzt, aber eigentlich wurde ich kaum behandelt.
    Nach dem Anschlag habe ich sogar noch bis halb

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