Untergrundkrieg
Aber das war mir doch ein bisschen zu stickig.
Solange die Tür auf war und Luft reinkam, ging es noch. Aber als in Otemachi die Türen schlossen, wurde es immer stickiger. Ich kann’s nicht gut beschreiben, irgendwie, als ob die Luft weggedrückt würde. Als ob sie stillstehen würde, und die Zeit mit ihr … na ja, das ist vielleicht ein bisschen übertrieben.
Ich hab eigentlich nur gedacht: »Wie komisch.« Dann fingen die Leute, die an den Haltegriffen hingen, an zu husten. Inzwischen war es auch nicht mehr voll, vor den Sitzen standen nur noch drei, vier Leute. Ich kriegte so schlecht Luft, dass ich nur noch daran dachte, wie ich am Bahnhof möglichst schnell aus der Bahn kommen könnte. Von Otemachi bis Nijubashimae sind es zwei oder drei Minuten, und die ganze Zeit schnappte ich verzweifelt nach Luft. Wenn man auf die Brust fällt, kann man manchmal nicht atmen. Man schafft es einzuatmen, kann aber die Luft nicht wieder rauspressen, so ein Gefühl war das.
Als ich mich kurz umschaute, sah ich an der Tür gegenüber irgendwas liegen, das in Zeitungspapier eingewickelt war. Ich stand direkt davor, bemerkte es aber erst jetzt. Es war ungefähr so groß wie ein Lunchpaket, und die Zeitung war ganz nass. Wasser oder so floss auf den Boden. Außerdem schaukelte es im Rhythmus der Bahn hin und her. Irgendwie ungewöhnlich. Man sah, dass es nichts Hartes war.
Ich bin in der Unterstadt geboren und weiß, dass die Fischhändler ihre Ware in Zeitungspapier einwickeln. Vielleicht hatte jemand Fisch gekauft und ihn vergessen. Andererseits würde ja kaum jemand früh morgens Fisch kaufen und dann damit in die U-Bahn steigen. Ein Mann schien das auch sonderbar zu finden und musterte das Ding ebenfalls eingehend. Er war ungefähr vierzig und trug einen Mantel. Sah aus wie ein Angestellter. Aber er fasste es nicht an.
Als wir in Nijubashimae ankamen, haben alle Leute, die mit mir ausstiegen, gehustet. Ich auch. Ungefähr zehn Leute husteten, daher wusste ich, dass es nicht an mir lag. Es war schon spät, und ich musste mich beeilen. Mein Herz hat in dem Augenblick, als ich ausstieg, wie wahnsinnig zu klopfen angefangen, und als ich den Gang zum anderen Bahnsteig entlangrannte, ging mir auf einmal die Puste aus. Daher ging ich langsamer, und mir wurde etwas besser. Meine Nase lief zwar wie verrückt, aber mein Herzschlag war wieder normal.
Bei der Besprechung im Büro wurde mir dann schlecht. Als ob ich brechen müsste. Dann kam die Nachricht, dass in der U-Bahn was passiert war. Aha, davon kam das also. Mir wurde ganz anders … ich bin nämlich ein ziemlicher Feigling. Ich bin dann sofort ins St. Lukas-Krankenhaus gefahren.
Dort hing ich zwei Stunden am Tropf, mein Blut haben sie auch untersucht. Dann durfte ich nach Hause gehen. Die Tests haben nichts Ungewöhnliches ergeben. Ich hatte sogar noch die gleichen Sachen an. Meine Pupillen waren auch nicht verengt. Mir war nur schlecht. Später hat mir ein Polizeibeamter gesagt, es sei gut gewesen, dass ich eingenickt war. So waren meine Augen geschlossen, und ich habe flacher geatmet ( lacht ). Ich hatte eben einfach Glück.
»Den meisten kommt es doch nur auf die Sensation an«
Hideki Sono (36)
Herr Sono arbeitet in der Zweigstelle einer großen Designerfirma in Aoyama. Nachdem der japanische Wirtschaftsboom vorüber war, steckten die meisten Firmen der Modebranche in einer Krise, oder, wie Herr Sono es formuliert: »Wir sind wieder zur Besinnung gekommen.« Anscheinend war er der Zeit der Bubble-Economy, in der ältere Männer mit jungen Mädchen herumzogen und überteuerte Markenkleidung verkauft wurde, überdrüssig geworden und ist jetzt sogar erleichtert, dass die ganze Aufregung vorbei ist. »Endlich können wir wieder zur Normalität zurückkehren.«
Auch wenn Herr Sono von sich behauptet, er sei der »ideale Verkäufer«, macht er überhaupt nicht den Eindruck eines hartgesottenen Vertreters. Er wirkt kein bisschen aufgedreht, sondern eher introvertiert. Aus Zechtouren, Betriebsausflügen und Golf macht er sich nicht viel. Wenn er mal auf den Golfplatz geht, ist sein letztes Spiel meist so lange her, dass er seine Partner fragen muss, welchen Schläger er nehmen soll. So viel zum Golf.
»In unserer Gesellschaft sind doch alle nur hinter dem Geld her. Da kann man verstehen, wenn junge Leute sich nach spirituellen Werten sehnen. Das trifft natürlich nicht auf mich selbst zu.« Nach dem Anschlag hatte er ziemlich heftig unter Nachwirkungen leiden, hegt jedoch
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