Untergrundkrieg
wieder zurück. Da das Sarin vermutlich nur langsam austrat, gab es bis zu diesem Zeitpunkt nur wenige Verletzte. Nachdem am Bahnhof Ikebukuro alle Fahrgäste ausgestiegen waren, wurde der leere Zug durchsucht, aber die Beutel wurden übersehen.
Um 8.32 verließ der Zug (als Nummer A 801) den Bahnhof in Richtung Shinjuku. Gleich nach der Abfahrt traten bei vielen Fahrgästen Beschwerden auf. Ein Fahrgast, der an der Haltestelle Korakuen ausstieg, meldete einen verdächtigen Gegenstand im Zug, und an der nächsten Station in Hongo-Sanchome entfernten Beamte der U-Bahn-Gesellschaft die Sarin-Beutel und reinigten rasch den Wagen. Zu diesem Zeitpunkt herrschte bereits auf den Bahnsteigen der Hibiya-Linie am Bahnhof Tsukiji großer Aufruhr.
Obwohl es eine große Anzahl von Verletzten gegeben hatte, fuhr der sarinverseuchte Zug weiter bis Shinjuku, wo er um 9.09 eintraf. Es ist kaum zu glauben, aber von dort fuhr der Zug unter der Nummer B 901 um 9.13 wieder zurück in die entgegengesetzte Richtung. Erst um 9.27 wurde er an der Haltestelle Kokkai-Gijidomae gestoppt, und die Fahrgäste wurden evakuiert. Nachdem Yokoyama den Sarin-Beutel durchstochen hatte, fuhr der Zug also noch eine Stunde und vierzig Minuten.
Aus diesen Fakten lässt sich vielleicht erschließen, welche Verwirrung bei den zuständigen Stellen der U-Bahn herrschte. Auch nach der Entdeckung des verdächtigen Gegenstandes im Zug B 801 und der Nachricht, dass es zahlreiche Verletzte gegeben hatte, war es niemandem eingefallen, den Zug aus dem Verkehr zu ziehen.
Auf dieser Strecke gab es zwar keine Todesfälle, aber über zweihundert Menschen wurden verletzt, zum Teil schwer.
21. März 1995. Um sich der Festnahme zu entziehen, versuchten Yokoyama und Hirose zu flüchten. Hisako Ishii übergab ihnen fünf Millionen Yen Fluchtkapital und einen Wagen. Bis zu ihrer Verhaftung zogen die beiden in der Umgebung von Tokyo durch die Hotels und Saunaclubs. 9
»›Was ist denn das?‹, dachte ich. Aber die Bahnbeamten machten keine Anstalten, etwas zu unternehmen«
Shintaro Komada (58)
Herr Komada hat lange bei einer großen Bank gearbeitet, bis er schließlich mit fünfzig zu einer Immobilienfirma versetzt wurde, die seiner Bank angeschlossen ist. Auch als er mit dreiundfünfzig das Ruhestandsalter (was man ihm keineswegs ansieht) erreicht hatte, blieb er weiter Angestellter der Firma. Augenblicklich leitet er eine Kunstgalerie, die sich in ihrem Besitz befindet. Obwohl er zunächst über keine Erfahrung auf diesem Gebiet verfügte, hat er in den vergangenen sechs Jahren ein großes Interesse für Malerei entwickelt.
Auf mich wirkte er weniger wie ein Banker, eher wie ein gewissenhafter, emsiger Familienmensch. Seine zweite Karriere scheint er mit großem Eifer zu verfolgen. »Ich bin sehr ausdauernd« , sagt er von sich selbst. Das bedeutete aber auch, dass er vor lauter Ausdauer noch neben den Sarin-Beuteln sitzen blieb, als es ihm schon schlecht wurde. »Gleich bin ich da« , dachte er und hielt auf seinem Platz aus. Dabei zog er sich schwere Verletzungen zu. Gerettet hat ihn der »Gegenwind«, in dem er saß. Sonst wäre die Sache vielleicht sehr böse für ihn ausgegangen.
Sein Hobby ist das Autofahren, und an seinen freien Tagen unternehmen er und seine Frau Ausflüge zu Museen.
Zur Arbeit fahre ich von Tokorozawa mit der Seibu-Linie nach Ikebukuro, von dort mit der Marunouchi bis Ginza, wo ich in die Hibiya-Linie nach Higashi-Ginza umsteige. Ich bin eine Stunde und zwanzig Minuten unterwegs. Es ist unheimlich voll, in der Seibu-Linie ist es besonders katastrophal. Weil die Fahrt von Ikebukuro bis Ginza genauso anstrengend ist, warte ich meist ein paar Bahnen ab, bis eine mal ein bisschen leerer ist. Das Gerangel um die Sitze ist mir zuwider, deshalb warte ich, bis ich ganz vorne in der Schlange bin und mich dann in Ruhe hinsetzen kann. Meist steige ich in die erste Tür des zweiten Wagens ein.
Ikebukuro ist die Endhaltestelle, also steigen dort alle aus. Am Tag des Anschlags, also am 20. März, waren nur wenige Leute in der Bahn. Normalerweise steigen aus einem Wagen fünfzehn oder zwanzig Personen aus, an dem Tag waren es nur fünf oder sechs. Das kommt schon mal vor, also habe ich mir nichts dabei gedacht.
Wenn alle Passagiere draußen sind, gehen ein paar Bahnbeamte durch den Zug, um nachzuschauen, ob auch niemand etwas vergessen hat.
Unglücklicherweise war die Person, die den Zug an dem betreffenden Tag kontrollierte, kein richtiger
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