Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
Ignaz?«, fragte der Rösch Sigi und löffelte sich die heiße Brühe als Kehlengold hinein. Die Graseggers suchte man vergeblich. Sie waren zum Leichenschmaus nicht mitgegangen.
»Da ist mir viel zu viel Polizeipräsenz«, sagte Ignaz draußen während des Heimwegs. »Da schmeckts mir nicht, da bekomme ich keinen Bissen runter.«
Sie entschlossen sich, noch ein wenig spazieren zu gehen. Sie lenkten ihre Schritte auf den Ortsrand zu.
»Das mit den SOS-Zeichen auf der Törlspitze, das ist mir nach wie vor unerklärlich«, sagte Ursel.
»Ach so, das habe ich ganz vergessen, dir zu sagen«, erwiderte Ignaz kleinlaut. »Ich habe mit einem Bergwachtler geredet. Der hat mir erzählt, dass die Bergwacht an dem Abend eine Übung abgehalten hat. Daher die Blinkzeichen.«
So viele Ortsteile es im Bindestrich-Kurort gab, genauso viele Feuerwehren, Skiclubs und Bergwachtvereine gab es auch.
»Und ich mache mir die ganze Zeit Gedanken!«, rief Ursel vorwurfsvoll. »Ich habe gleich wieder an ein Verbrechen gedacht!«
Eine schlaksige Frau und ein stämmiger Mann traten in den Eingang der Gaststube. Nicole hatte die beiden noch nie vorher gesehen, aber sie wusste sofort, wer das war. Der stämmige Mann sprach mit dem Wirt, der zeigte zum Tisch der Polizisten.
»Ja, bitte?«
»Entschuldigen Sie, wenn wir Sie beim Essen stören, aber wir wollten uns zurückmelden«, sagte die Frau. »Mit wem von Ihnen haben wir denn telefoniert?«
»Mit mir«, sagte Nicole zu den beiden Bergsteigern. »Wir haben uns große Sorgen um Sie gemacht. Endlich sind Sie da! Es ist schön, Sie heil und gesund zu sehen. Setzen Sie sich zu uns. Greifen Sie zu, es gibt genug.«
Die beiden Mediziner holten Stühle und zwängten sich zwischen die lädierten Vertreter der Bayerischen Polizei.
»Wir haben ja überhaupt nichts gesehen!«, sagte die Internistin. »Wir haben mit dem Fernglas hinübergeguckt zu dieser ominösen Alm, aber eine Gewalttat – nein, so etwas wäre uns aufgefallen.«
»Das glaube ich schon«, sagte Nicole, »aber Sie haben überall herumerzählt, dass Sie da rübergeguckt haben. Sie haben auch noch von ihrem Superfernglas gesprochen. Dadurch haben Sie sich in höchste Lebensgefahr gebracht. Heute ist Ganshagel beerdigt worden. Die Täterin, die Äbtissin, dachte, dass er zu viel wusste. Wir vermuten, dass Sie die beiden nächsten Opfer gewesen wären.«
Der Neurologe und die Internistin sahen sich entsetzt an.
»Ach, das sind ja unsere beiden Extremkletterer!«, sagte Stengele. Auch er trug einen Verband. Er hatte mitgeholfen, die Äbtissin zu überwältigen. »Schön, Sie zu sehen. Wir haben Ihr Handy gefunden. Warum haben Sie sich nicht mehr gemeldet?«
»Wir hatten nur das eine dabei«, sagte der Neurologe. »Und dann mussten wir uns in den Bergen um einen dringenden Notfall kümmern.«
»Ein paar Tage lang?«
»Wir haben Urlaub. Und bei dem schönen Wetter übernachten wir gerne im Freien.«
»Das hat Ihnen vielleicht das Leben gerettet.«
Die Bergsteiger sahen jetzt wirklich sehr blass aus. Sie machten Anstalten, sich zu erheben.
»Ach, eines noch«, sagte Nicole. »Sie arbeiten doch beide im Krankenhaus, nicht wahr?«
»Ja, warum?«
»Können Sie mir verraten, was da nachts in der Notaufnahme los ist? Da werden heimlich Päckchen gebracht – da werden Sauerstoffflaschen herumgetragen – da wird auf großer Notfall gemacht – und am Schluss kommt Geld in die Kaffeekasse?! Können Sie mir das erklären? Mal ganz inoffiziell?«
Die beiden Mediziner blickten sich verlegen an.
»Eigentlich ist es ja nichts Illegales«, sagte der Neurologe. »Die Gäste in den Nobelrestaurants wollen den Hummer lebend und frisch sehen, bevor sie ihn verspeisen. Die Viecher kommen aber nach dem Flugzeug- und Bahntransport immer ziemlich matt und träge an. Deshalb gibt es einen Deal mit dem örtlichen Krankenhaus. Glauben Sie mir: Das ist nichts Ungewöhnliches, das wird woanders auch so gemacht. Die Hummer erhalten eine erfrischende, reanimierende Sauerstoffdusche – im Gegenzug kommt Geld in die Kaffeekasse.«
»Igitt«, rief Maria, die das Gespräch verfolgt hatte. »Das ist ja unglaublich! Ich esse nie mehr im Leben Hummer. Und wie heißt die Gaststätte, die so was macht?«
Die Blasmusik polterte einen krachenden Trauermarsch heraus.
»Es ist meistens das Restau … manchmal auch die … fg … rrr … fg …«
Die Antwort der Internistin ging im Blechlärm unter.
Die Bergsteiger verließen den Wirtshaussaal.
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