Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
Dann brauchte er keine weiteren Straßen und Orte mehr zu durchqueren, um sein Ziel zu erreichen.
»Du, sag mal, Charly, wir waren doch grade vorher noch im Internet«, schrie der Klettermaxe nach unten zu seinem Sicherer.
»Was? Internet? Ja, und?«
»Kannst du dich erinnern: Da haben sie doch was von einem Arab gebracht.«
»Arab? Keine Ahnung. Ach, du meinst den auf der Alm!«
»Grade ist einer vorbeigegangen, der hat genauso ausgesehen wie der auf der Zeichnung. Er ist erst da oben auf dem Hügel gestanden, dann ist er an uns vorbeigelaufen.«
»Echt? Habe ich gar nicht gesehen.«
»Ich glaube, das war der Gesuchte! Für den gibts ein paar tausend Euro Belohnung.«
»Okay, wenn du meinst!«, schrie Charly nach oben. »Ruf du mal bei der Polizei an, ich schau, wo er hingelaufen ist.«
Charly, der Sicherer, sicherte und entfernte sich. Kevin, der Kletterer, zückte sein Mobiltelefon und wählte Einseinsnull.
Es ging zügig voran, aber Chokri kam fast um vor Durst. Er beherrschte sich. Kurz nach dem Ortsschild von Wamberg brüstete sich ein ausnehmend hässlicher Getränkemarkt mit der endgültigen Stillung des oberbayrischen Durstes. Stapelweise standen Kisten mit Wasserflaschen und Säften vor der Tür. Ein mageres Männchen lud den Lastwagen aus. Sonst war niemand zu sehen. Der Tunesier näherte sich dem Getränkemarkt, er schlich um das Haus herum. Als das Männchen wieder im Lastwagen verschwunden war, nahm er sich vier Halbliterflaschen aus der Kiste, steckte sie in die Jackentaschen und machte sich wieder auf den Weg. Er würde sie im Wald trinken. Auf der Hauptstraße, die durch Wamberg führte, war kein Mensch zu sehen. Ein paar Fenster waren geöffnet, und aus allen drang die gleiche Fernsehsendung.
»Halt, bleiben Sie stehen!«
Es war eine junge, helle Stimme. Er wandte sich kurz im Gehen um. Das war nicht das magere Männchen vom Getränkemarkt, das war einer dieser verrückten Kletterer, der ihm nachgelaufen war. Chokri beschleunigte seine Schritte. Dem Kerl konnte er bestimmt mit einem kleinen Zwischenspurt entkommen. Chokri blickte sich nochmals um. Sein Verfolger lief immer noch hinter ihm her, er blieb dran. Dieser Junge wurde lästig. Er musste ihn loswerden. Er griff in die Tasche.
Charly hatte keine Angst. Erstens hatte sein Kumpel die Polizei gerufen – gleich würde es hier wimmeln von Einsatzfahrzeugen, die von allen Seiten in den Ort gequietscht kamen. Zweitens befanden sie sich hier nicht mehr in der freien, deckungslosen Landschaft. Er konnte sich jederzeit hinter einen Pfosten ducken. Oder in einen Vorgarten hechten. Charly war gut in Form. Wenn man es genau betrachtete, lief der dunkelhäutige Mann da vorne vor ihm davon. Das stachelte Charly an. Außerdem war Charly ein Kletterer. Und die Kondition eines Kletterers ist enorm. Hörte er da nicht schon die Polizeisirenen? Er musste den Arab hier im Ort stellen. Showdown in Wamberg, das wäre was! Jetzt blieb der Mann stehen. Charly duckte sich hinter einen Zaun. Was hatte der Typ vor? Er beugte sich nach hinten, als würde er sich recken, als würde er eine Verspannung in den Schultern lösen, und schon schlug neben Charly das erste Geschoss ein. Er erschrak furchtbar. Er blickte auf den Boden: Scherben, sprudelnder Schaum. War das eine explosive Flüssigkeit? Etwas Giftiges? Dann begriff er: Der Irre hatte eine Flasche Selters nach ihm geworfen. Oben öffnete sich ein Fenster.
»Das macht ihr wieder weg, ihr Säue!«, schrie die Kloß Antonia, die ehemalige Schönheitskönigin von Wamberg, noch heute Höhepunkt jedes Maitanzes.
»Gib Ruhe, Antonia, gleich kommt die Polizei«, rief Charly. »Mach das Fenster zu und geh wieder rein!«
Doch die Kloß Antonia zeterte weiter. Sie war mitten in ihrer Lieblingssendung gestört worden, das konnte sie gar nicht vertragen. Sie drehte sich um und schrie nach ihrem Mann.
»Geh, mach was, du Lapp! Da unten werfen welche mit Flaschen.«
Der gutmütige Lapp stürmte nach unten. Er sprang aus dem Haus, lief den beiden nach, er holte auf, in der Unteren Gasse hatte er Charly erreicht. POSCH!SCH!SCH! SPLISCH! Eine zweite Granate schlug ein. Die beiden sahen sich an. Keiner war getroffen worden. Sie liefen weiter.
Johann Ostler und Nicole Schwattke fuhren ohne Blaulicht, sie wollten niemanden warnen und keine schlafenden Hunde wecken.
»Ist das da vorne Wamberg?«, fragte Nicole.
»Ja, und gleich rechts liegt der Klettergarten«, antwortete Ostler. »Und da oben hängt einer und
Weitere Kostenlose Bücher