Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
internationalen Markt, und ausgerechnet hier, bei der letzten und erhabensten Kunst, pfuscht jeder so lokal, wie er es halt draufhat. Wir leben in ungerechten Zeiten.
»Ich bin mir sicher, dass das Treffen nachgeholt wird«, sagte Dilip Advani. »Jammerschade ist nur, dass wir die Äbtissin nicht mehr kennenlernen durften. Ihre Meisterschaft des schmerz- und spurlosen Tötens reicht an die unserer Kalarippayattu-Meister heran, so habe ich jedenfalls gehört.«
Alle drei verneigten sich, aktivierten ihre Chakren und sandten frische Energien an die Meisterin in ihrer neuen stofflichen Erscheinung. Kalarippayattu, so hieß die alte indische Kampfkunst, die meist vom Dorfarzt ausgeübt und gelehrt wurde. Diese Meister waren besonders im Behandeln von Knochenbrüchen, Quetschungen, Stauchungen und in der indischen Ayurveda-Heilkunst sehr gefragt, sie konnten jedoch auch kämpfen und ein Leben schmerzlos beenden. Sie waren berühmt dafür, in beiden Künsten keinerlei Spuren zu hinterlassen. Ein Kalarippayattu-Meister war im Dorf so hochgeachtet wie eine Hebamme. Nicht selten waren die beiden ein Paar.
»Wir sollten uns zur Ruhe begeben«, sagte Dilip Advani.
»Ach, eines noch: Wir sind beim Herweg an einer Fleischerei mit dem Namen Letzelberger & Söhne vorbeigekommen. Dort soll es wohlschmeckende Weißwürste geben. Ihr wisst schon: Die weichen Länglichkeiten, die verzehrt werden sollen, bevor die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat. Wollen wir dort morgen früh hingehen?«
Bitte da unter keinen Umständen hingehen! In der Metzgerei Letzelberger & Söhne gibt es die schlechtesten Weißwürste im ganzen Kurort! Metzgerei Kallinger, Metzgerei Moll – ja, durchaus empfehlenswert, aber niemals zu Letzelberger & Söhne, liebe weitgereiste Kurgäste!
Mitternacht wars. Zwei der Inder legten sich zu Bett, einer hielt Wache. All zwei Stunden war Wachablösung. Gleich bei der ersten Wache hörte der stumme, aber dafür umso hellhörigere Raj Narajan ein Geräusch an der Tür, ein rhythmisches Klopfen und Scharren. Raj Narajan weckte die anderen. Sie griffen zu ihren Waffen, schlichen zur Tür und lauschten. Das Klopfen und Scharren hörte nicht auf. Raj Narajan deutete pantomimisch an: die Polizei? Dilip Advani gestikulierte verneinend zurück: Die wird es wohl nicht sein. Ein Dieb? – Ebensowenig. Ein Tier? – Dafür ist das Klopfen zu systematisch und rhythmisch. Pratap Prakash holte ein Fläschchen Öl aus der Tasche und beträufelte damit den Schlüssel, der im Türschloss steckte. Auf ein Zeichen hin drehte Raj Narajan den Schlüssel unendlich langsam im Schloss herum. Das Klopfen und Scharren verstummte nicht, der draußen hatte nichts bemerkt. Auf drei öffnete Dilip Advani blitzartig die Tür, und Pratap Prakash schließlich packte die Gestalt an den Schultern, riss sie ins Zimmer und warf sie zu Boden. Innerhalb von wenigen Sekunden lag ein Bündel Mensch fast regungslos, nur leicht zuckend da, und drei Inder saßen darauf. Zum Schreien war das Bündel nicht fähig, sein Mund war vollgestopft mit Blumenerde.
Sie durchsuchten ihn nach Waffen. Sie fanden nichts. Sie ließen von ihm ab. Das Bündel Mensch entrollte sich langsam, erhob sich und spuckte reichlich Rhododendronwurzeln aus. Trotz des ungewöhnlichen Empfangs begrüßte der aufgerollte Mensch die Inder freundlich. Er hatte wohl nichts anderes erwartet. Er legte die Handflächen aneinander und hob sie in Brusthöhe. Er verneigte sich leicht.
»Namaste, Namaste, liebe Freunde aus dem großen Land, in dem die Kalarippayattus wirken und lehren. Ihr seid vermutlich die drei indischen Kollegen, die uns allen gestern angekündigt wurden. Ich bin übrigens Chokri, der Tunesier.«
Die Inder entspannten sich vorsichtig.
»Wie können wir dir trauen?«
»Ich war Seminarteilnehmer auf der Wolzmüller-Alm. Ich weiß, dass diese Pension hier eine sichere Anlaufstelle ist, die uns als Sonderservice zur Verfügung gestellt wurde.«
Die Inder warfen sich Blicke zu.
»Gut, wir trauen dir. Kommen noch mehr von den Seminarteilnehmern?«
»Ich denke nicht. Sie sind längst über alle Berge. Ich hatte vor, übers Krankenhaus zu entkommen. Das wäre mir auch fast gelungen. Aber eines muss ich euch sagen: Die Polizisten im Ort sind gar nicht so dumm, wie ich angenommen habe. Sie haben auch wesentlich mehr technische Möglichkeiten, als ich dachte. In diesem Punkt sind wir falsch informiert worden. Ich rate zur Vorsicht. Wir müssen höllisch aufpassen.
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