Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
mit der linken Hand die entsprechenden Befehle einzutippen. Sie murmelte etwas von Stealth Ping und Silent SMS. Auf einem ihrer Schirme erschien eine Karte, die das Werdenfelser Tal zeigte.
»Und?«
»Es wird noch ein paar Minuten dauern.«
»Wie war das mit Ihrem Vorschlag, Ostler?«
»Ich weiß nicht, aber die Wolzmüller-Alm, die hat doch so einen Fluch, so einen Unstern, der jetzt sozusagen wieder aufgelodert ist. Von der ganzen Familie Wolzmüller lebt ja nur noch der Michl. Der ist allerdings, mit Verlaub gesagt, nicht ganz richtig im Kopf. Er ist ein armer Tropf, ist an nichts interessiert, macht nur das Nötigste, obwohl er genug Geld hätte, in Saus und Braus zu leben. Manchmal malt er ein bisschen. Man sieht ihn immer mit einem Zimmermannsbleistift hinter dem Ohr. Jetzt bedrängen uns die Presseleute doch schon so, dass wir mehr Informationen rausgeben sollen. Man könnte fallenlassen, dass der Michl etwas gemalt hat, dort droben, zur fraglichen Zeit, weil das doch einmal sein Elternhaus war.«
»Geht der Michl denn noch ab und zu rauf?«
»Nein, das glaube ich nicht, vielleicht war er auch seit dem Tod seines Vaters nie mehr oben, der ist viel zu faul zum Wandern oder Bergsteigen – aber man könnte es behaupten.«
»Wie bitte? Ich höre wohl nicht richtig! Ein offensichtlich psychisch Gestörter als Lockvogel?«
»Nein, so meine ich es nicht. Jemand von uns schlüpft natürlich in seine Rolle.«
Jennerwein überlegte.
»Wie alt ist er denn?«
»Na, so Ende vierzig. In Ihrem Alter. Oder in Stengeles Alter.«
»Gibt es Ähnlichkeiten?«
»Vom Gesicht her? Nein. Aber die könnte man in diesem Fall leicht herstellen. Der Michl ist eine ziemlich abgerissene Erscheinung. Unrasiert, trägt immer einen viel zu großen Lodenmantel. In seine Rolle kann man leicht hineinschlüpfen. Und man könnte das Ganze sehr, sehr schnell inszenieren.«
Der Michl Wolzmüller schaute durch sein Küchenfenster. Er sah schon von weitem, dass er Besuch bekam. Er bekam selten Besuch. Eigentlich nie. Manchmal vom Postboten, das war es dann auch schon. In einiger Entfernung fuhr ein Auto vor und parkte ein. Es parkte so langsam und sorgfältig ein, dass es dem Michl auffiel. Trübe Augen hatte er, aber mit seiner Beobachtungsgabe war nicht zu spaßen. Ihm entging nichts. Nach einiger Zeit stieg ein Mann aus, den er gut kannte. Er hatte ihn schon oft im Ort gesehen. Michls Hand hob sich langsam, fuhr hinters Ohr und griff sich den Zimmermannsbleistift. Ein Blatt lag irgendwo in der Nähe. Er zeichnete die Gestalt, die da gerade aufs Haus zukam. Die Gestalt ging langsam, wie ein Cowboy, der auf der staubigen Westernstraße zu einem Duell schreitet. Der Mann sah sich verstohlen um, er musterte die Fenster, die aber blind und stumm blieben. Was wollte der Mann? Dem Michl war nicht wohl. Aber halt! Da rührte sich was im Auto! Die Türe öffnete sich, und ein zweiter Mann stieg aus, mit einem Handy am Ohr. Der Michl zeichnete auch diesen Mann schnell aufs Papier. Er zeichnete die Worte, die aus dem Telefonhörer quollen. Doch nun trennte der Mann die Verbindung, und beide kamen auf sein Haus zu. Schließlich standen sie vor der Haustür und klingelten. Er ließ sie eine Zeitlang warten und skizzierte weiter. Wartende Menschen zu zeichnen, das war eines der herrlichsten Dinge auf der Welt. Mit nichts konnte man den Charakter eines Menschen besser studieren. Der zweite Mann war sehr gut im Warten, der erste Mann nicht. Sie klingelten nochmals. Der Michl zerknüllte das Blatt und schob es in die Hosentasche. Dann öffnete er.
Der Michl sagte nichts. Die Männer sagten nichts. Er machte den beiden Platz, so dass sie in den Gang treten konnten. Er zeigte mit einer unmerklich kleinen Handbewegung ins Wohnzimmer. Die Besucher setzten sich schweigend. Ihre wachsamen Blicke glitten durch den schmucklosen Raum. Unendlich viel Zeit verstrich.
»Habs mir eh gedacht, dass ihr irgendwann zu mir kommt«, sagte der Michl schließlich zu Ostler und Jennerwein.
45
In bestimmten Gegenden der Karpaten ist es Brauch, im Wald Münzen ins Unterholz zu werfen. Einem alten Volksglauben nach hat man pro Münze eine Lüge frei.
Das Ehepaar Grasegger war auf dem Heimweg.
»Ich frage mich schon die ganze Zeit, wo die vielen Knöcherlputzer hergekommen sind«, sinnierte Ignaz.
»Was hast du denn immer mit diesen Viechern!«, sagte Ursel. »Die gehen mir langsam ganz schön auf die Nerven.«
»Weißt, ich habe noch ein paar Experimente mit ihnen
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