Unterm Kirschbaum
machte eine hilflose Geste, indem er beide Arme weit ausbreitete. »Wir haben uns getrennt, als sie zu den Hare-Krishna-Leuten in den Hunsrück gezogen ist. Die haben da ihren Tempel in einem Ort mit dem schönen Namen Abentheuer. Von da ist sie wohl nach Indien.«
Woytasch lachte. »Früher ist sie immer unserem lieben Pfarrer Eckel hinterhergelaufen – und jetzt sind es die indischen Götter. Mir war aber so, als hätte ich sie letztes Jahr noch bei uns oben in Frohnau gesehen …«
»Das muss ein Irrtum gewesen sein«, sagte Wiederschein schnell.
»Und wie geht es Ihnen so?«
»Danke, gut. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich nie mehr Angst um mein Geld haben muss, dass die Aktienkurse fallen und meine Fondspapiere nichts mehr wert sind, denn ich habe so viele Schulden, dass mir jeden Monat bis auf das Existenzminimum alles weggepfändet wird.«
Woytasch nickte mitleidig. »Ist denn das Restaurant wirklich so schlecht gelaufen?«
Wiederschein stöhnte auf. »Nach der Umstellung auf den Euro immer schlechter. Und wenn die Leute gastronomisch was erleben wollten, sind sie in die Innenstadt gefahren. Jede Zeitung hat ja wöchentlich ein neues Sternerestaurant angepriesen.«
Woytasch blätterte in der Speisekarte. »Dabei war ja Ihre, wenn ich das hier so sehe … Kükenragout, pfui. Aber Ihre Villa steht nach wie vor leer und verfällt so langsam, ein Käufer hat sich noch immer nicht gefunden. Es geht das Gerücht, dass sie da ein Altenheim bauen wollen, so richtig first class, dazu brauchen sie allerdings das Grundstück nebenan, aber die Laubach will nicht verkaufen.«
»Die lebt auch noch …«, murmelte Wiederschein. »Und sorgt weiterhin dafür, dass die Atmosphäre ringsum schön vergiftet wird. Ist sie denn nun glücklich, dass sie den Schönblick wieder als Nachbarn bekommen hat, den großen Wirtschaftsweisen …?«
Woytasch schüttelte sich. »Diesen gekauften Dreigroschenjungen der Konzerne? Wenn die ihm 10.000 Euro zahlen, weist er uns wissenschaftlich nach, dass nur ein Mindestlohn von 10 Cent die Stunde die Zukunft Deutschlands sichern kann.«
»Und was gibt es sonst Neues in Frohnau?«, fragte Wiederschein, den das Politische nach wie vor nicht interessierte.
»Eigentlich nichts, außer dass da draußen bei uns ein pensionierter Kriminalkommissar herumschnüffelt …«
Wiederschein versuchte, sein Erschrecken zu verbergen. »Gräbt der noch einmal unter meinem Kirschbaum nach?«
»Sozusagen ja, denn Klütz hat wohl sein Geständnis widerrufen. Offiziell hält man das für Quatsch und macht nichts weiter, aber dieser Mannhardt, so heißt er, und natürlich auch ein paar Journalisten, sind nun wieder hinter der Geschichte her. Ich bin auch deswegen hier, um Ihnen zu sagen, dass da was an dummen Fragen auf Sie zukommen könnte. Mietzel hat mir erzählt, dass man bei ihm in der Kanzlei schon herumspinnt, dass Sie mit der Sandra Schulz was gehabt hätten und … Ach, lassen wir das!«
*
›Erlernen Sie das edelste aller Handwerke, das Schreiben. Erfüllen Sie sich einen lang ersehnten Traum und halten Sie Ihr erstes gedrucktes Werk so in den Händen wie einen Sohn oder eine Tochter. Glauben Sie den Worten von William Stafford: »Das Schreiben ist eine Quelle der Freude, ein Weg, auf dem es viel zu entdecken gibt. Wer sein eigenes Leben schreibend verfolgt, vertrauensvoll und gelassen, empfindet die Welt immer als einladend und rätselhaft, als unermessliche Sphäre, die lebendige Realität und Unberechenbarkeit des Traums miteinander vereint.‹
Dieser Werbetext hatte Wiederschein gefallen, und so hatte er, nachdem Angela aus seinem Leben verschwunden war, den großen Belletristik-Kurs in einer Schule des Schreibens belegt. Nach gut einem Jahr hatte er seinen ersten Roman zu Ende geschrieben, und das Manuskript lag nun bei einem renommierten Verlag. Jeden Tag rechnete er mit einer begeisterten Antwort des Lektorats, denn der Plot war einfach hinreißend. Als Arbeitstitel hatte er ›Der Urug‹ gewählt, was sich ergab, wenn man Guru verkehrt herum las. Es ging in dem Buch darum, dass ein fürchterlich gestresster westlicher Manager nach Indien geht, um dort in einem Ashram ein anderer zu werden und den Weg zur Weisheit und zum wahren Leben zu finden, am Ende aber der Guru unter seinem Einfluss den ganzen ›esoterischen Firlefanz‹ zu hassen beginnt und mit ihm nach Berlin flüchtet, um in der Managementzentrale einer indischen Firma endlich seine Potenziale
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