Unterm Messer
Karl Simatschek.
Er sieht mich verwundert an. „Hat das mit dem zu tun, was dir die Nonne erzählt hat?“
„Nein, überhaupt nicht.“
„Klar wünsche ich mir Kinder, aber selbst wenn ich einen Partner finde, es geht in Österreich nicht. Keine Adoptivkinder, keine Pflegekinder. Und austragen kann ich ja keins.“
„Ich werde dir bald alles erzählen. Ich möchte nur nicht, dass du mit Knobloch in Konflikt kommst. Hast es ohnehin nicht leicht.“ Ich nehme einen Schluck Cappuccino.
„Leicht genug. Was hat die Nonne gesagt? Ohne mich wärst du nie zu ihr gekommen.“
„Ohne mich hätte sie nie geredet“, mache ich ihm klar. „Ihr Problem ist: Sie wollte zu viel auf eigene Faust klären. Und da ist jemand auf die Idee gekommen, ihr die Morde in die Schuhe zu schieben.“
„Irgendwie hab ich sie mir nie als Täterin vorstellen können. — Warum wollte sie eigentlich mit mir nicht reden?“
Ich lächle. „Sie findet dich sehr nett. Aber sie hat etwas gegen die militärische Organisation der Polizei und gegen hierarchische Gehorsamspflichten.“
„Das muss gerade sie als Kirchenfrau ...“, fährt er auf.
„Eben. Sie wisse, wovon sie rede, hat sie gemeint.“
Ich finde Vesna in einem Liegestuhl am Pool. „Das nennst du überwachen?“, spöttle ich.
„Muss ja ganz harmlosen Eindruck machen. Und von hier ist Blick auf Bauernhof gar nicht schlecht. Nat war übrigens bei Friseur. Hat ganz kurze blonde Haare. Rote waren ihr Markenzeichen, mit anderer Farbe sie wird weniger leicht erkannt, selbst wenn sich jemand in ,Oasis‘ noch erinnert, hat sie gemeint. Ich habe ihr Fotos von Schafen und Schweinen gezeigt. Einfach hingehen und noch einmal ansehen ist, ich denke, zu gefährlich. Am Abend will sie ins Fitnesscenter. Und die beiden Autos von Forschern gehören einmal Tante Irmi und einmal Exfrau von Grünwald. Also nichts Aufregendes.“
Das, was ich ihr dann erzähle, findet sie allerdings aufregend genug. Am liebsten würde sie sofort zur ,Beauty Oasis‘ fahren, alle Tiegel mit Ringelblumencreme evakuieren und jeden fragen, ob er oder sie ein „lieber Mensch“ sei. Doch es gelingt mir, ihr klarzumachen, dass es besser ist, wenn ich nachsehe, zumindest im Wellnessbereich. „Sam war sehr nett zu mir, er weiß, wie ich die Massage genossen habe. Wenn ich ihm begegne, dann tue ich einfach so, als möchte ich einen neuen Massagetermin ausmachen. Er kann ja nicht ahnen, dass ich weiß, dass er ab morgen oder übermorgen auf Urlaub ist.“
„Und wenn doch er ,lieber Mensch‘ ist, du kommst gleich dran und er dreht dir Hals um.“
Mich schaudert kurz. Wie er mir die Nackenwirbel gedrückt hat ... „Ich lasse mich nicht massieren und ich werde auch aufpassen, dass er mich nicht sieht.“
„Wenn er nach Amerika fahrt ... wir dürfen keine Zeit verlieren.“
„Grünwald soll in letzter Zeit mächtig nervös sein“, erzähle ich weiter.
„Kein Wunder bei zwei Mal Mord, selbst wenn er es nicht war.“
„Er soll überall herumschnüffeln, alles kontrollieren.“
„Ist seine Klinik, außerdem: Wenn er wirklich Industriespionage vermutet, kein Wunder, dass er will alles kontrollieren. Macht es natürlich nicht einfacher, das mit den Cremes zu prüfen - wobei auch sein kann, dass die junge Nonne war ein wenig wirr. Ich werde herausfinden, wann Sam Miller auf Urlaub geht. Und wen Nonne Cordula gepflegt hat. Und wo Cremes noch sind. Und dann wir haben Treffen mit Genetikerin. Wenn es brennt, wir müssen heute Nacht noch in ,Oasis‘ und nachsehen ...“
„Tagsüber ist es deutlich weniger verdächtig. Wer weiß, ob sie in der Nacht nicht Überwachungskameras laufen haben.“ Vielleicht hätte ich dem Gerichtsmediziner doch alles erzählen sollen und darauf vertrauen, dass er die richtigen Schritte unternimmt.
Auf dem Zimmer schreibe ich Oskar eine lange E-Mail. Ich versichere ihm, dass ich ihn liebe und dass zum Erhalt der Liebe auch „gegenseitige Freiheit“ gehöre. Klingt irgendwie nach sexuellen Abenteuern. Ich streiche die zwei Wörter. „Verständnis und Vertrauen“. Pfff. Ist erstens eh klar und zweitens schwülstig. Weg damit. „Respekt“ klingt, als wäre ich seine Mutter. Ich lösche bis auf den ersten Satz alles und beschreibe die Pension der Tante in leuchtenden Farben. Wahr. Aber doch auch gelogen. Hat er sich nicht verdient. Wieder weg damit. „Ich liebe dich und komme bald wieder. DEINE Mira.“ Senden. Kurz, dafür nicht gelogen. Hoffentlich. Ich will heim. Bald. Weg
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