Unterm Messer
unterwegs, so als ob er hinter etwas her wäre. Oder alles heimlich kontrollieren wollte.“
Ich seufze. „Natalie Veith hat uns erzählt, dass er rund um seine Forschungsdaten einen richtiggehenden Geheimhaltungskult betrieben hat.“ Mir kommt eine Idee: „Was ist, wenn er Schilling verdächtigt hat, ihm Forschungsunterlagen zu klauen? Immerhin sieht es so aus, als hätte der vor ein paar Jahren Natalie Veith Ergebnisse gestohlen.“
„Aber Schilling war bei den Forschungen doch selbst dabei“, wirft die Nonne ein.
„Die Frage ist, ob er in alles eingeweiht war.“
Schwester Gabriela sieht sinnend aus dem Fenster. „Der ,liebe Mensch' Grünwald wird von Cordula ertappt, als er im Labor irgendetwas Seltsames tut. Er bekommt es mit der Angst, bestellt sie in einen Raum in der Nähe der alten Sauna, betäubt sie und schaltet den Saunaofen ein. Schilling bekommt etwas davon mit oder versucht gar, ihn zu erpressen, oder er hat tatsächlich wichtige Unterlagen gestohlen, Grünwald muss auch ihn loswerden, er legt es als Ritualmord an, damit der Verdacht auf mich fällt.“
„Wenn Schilling Unterlagen gestohlen haben sollte: Was wollte er damit? Sie veröffentlichen?“
Die Nonne sieht mich beinahe mitleidig an. „Wie wäre es mit verkaufen? Ich habe den Eindruck, Schilling hatte einen Hang zu Geld. Und zu Geltung. Grünwald hat ihn eher wie einen Laboranten behandelt. Also nimmt er mit einem der Pharmariesen Kontakt auf. Industriespionage. Wenn Cordula da etwas mitbekommen hat, dann war vielleicht doch Schilling der ,liebe Mensch'.“
Klingt gar nicht unplausibel. Und Grünwald hat sich gerächt. Oder ist die alte Nonne gerade wieder einmal dabei, mich zu manipulieren? „Und wenn der ,liebe Mensch' einer von Schwester Cordulas Patienten war?“, frage ich.
„Dann wird es schwierig“, lautet die trockene Antwort. „Natürlich können wir herausfinden, wen sie in letzter Zeit gepflegt hat, das wird auch die Polizei schon überprüft haben. Aber irgendwie geht mir die Sache mit der Creme nicht aus dem Sinn. Ich möchte, dass Sie nachsehen, ob es an der Rezeption oder im Wellnessbereich noch Ringelblumencreme gibt“, sagt Schwester Gabriela und schweigt dann lange. Ich will sie nicht stören. Überlege. Wenn Schilling der ,liebe Mensch' gewesen ist: Immerhin ging das Gerücht, er und die Nonne hätten etwas miteinander gehabt. Okay, es scheint vor allem durch ihren Tod angeregt worden zu sein. Aber zumindest war es Schilling, der ihr erlaubt hat, die Laboreinrichtungen zu benutzen.
„Wenn Sie noch mit Sam Miller reden wollen, sollten Sie das übrigens rasch tun. Er will für einige Wochen in die USA. Besuch bei seiner Familie. Ich glaube, er fährt morgen oder übermorgen. Hat mir die Heilmasseurin erzählt.“
„Haben Sie vielleicht eine Ahnung, wo Grünwald vertrauliche Daten aufgehoben haben könnte?“ Die Idee ist mir gerade gekommen.
Die alte Nonne schüttelt langsam den Kopf. „Ich weiß nur, dass er mir unruhig vorgekommen ist. Schon vor den beiden Mordfällen.“ „Wie lange davor?“
„Ach, seit ein, zwei, drei Monaten vielleicht. Die Zeit ... sie spielt bei uns nicht so eine Rolle. Ich hoffe, ich habe Ihnen mit dem, was ich weiß, nichts Zusätzliches aufgebürdet“, sagt die Nonne dann besorgt. „Wenn Sie es für richtig halten, dann können Sie auch der Polizei davon erzählen. Zumindest dieser Gerichtsmediziner scheint ein anständiger Kerl zu sein. Ich glaube, ich habe es ihm zu verdanken, dass ich hier und nicht in Untersuchungshaft oder in der Psychiatrie gelandet bin. - Kann es sein, dass Sie mit ihm ...“
Sieh an, die Klosterfrau ist neugierig. — Ist das nicht auch eine Sünde? Ich neige meinen Kopf näher zu ihrem. „Keine Chance. Er ist stockschwul.“
Die Nonne schüttelt bedauernd den Kopf: „Dass aber auch die besonders Netten so häufig ...“ Da klopft es und es dauert keine drei Sekunden und sie hat wieder ihren Rosenkranz in der Hand und betet weiter. „... der Herr ist mit Dir, Du bist gebenedeit unter den Frauen ...“
Wie lange sie das noch tun will? Vielleicht bis es uns gelungen ist, den „lieben Menschen“ zu finden.
[ 15. ]
Wir sitzen im Gastgarten eines gemütlichen Cafes in der Grazer Herrengasse. Die Stadt hat südliches Flair, es wird durch die Hitze dieses späten Augusttages verstärkt. Touristen drängen sich zwischen barocken Gebäuden, zwei Männer beugen sich über einen Kinderwagen. „Wünschst du dir eigentlich Kinder?“, frage ich
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