Unterm Messer
Motto des Klosters?“, frage ich und deute darauf.
Jetzt nicken beide und die Rotwangigere sagt: „Studiere und diene. Die heilige Hildegard war eine sehr gebildete Frau, sie hat ihr Leben lang studiert.“
Mir kommt eine Idee. Schwester Cordula war Biologin, Schwester Gabriela ist Medizinerin. „Sie haben auch studiert?“
„Schwester Ernestine ist Germanistin und ich habe wie Schwester Cordula Biologie studiert. Es ist Voraussetzung, um in unseren Orden aufgenommen zu werden.“
„Und warum pflegen Sie dann Kranke?“
„Das hat mit dem Dienen zu tun.“
Kann es sein, dass Schwester Gabriela nur deswegen nicht gesagt hat, dass sie Medizin studiert hat, weil ein abgeschlossenes Studium in ihrer Klostergemeinschaft ganz normal ist? Und weil offenbar alle, egal welche Ausbildung sie haben, als Krankenpflegerinnen arbeiten? Warum ist sie verrückt geworden? Was bedeutet es, verrückt zu sein? Vielleicht ist die Versenkung ins Gebet ein wunderbarer Schutz. Was hat Schwester Gabriela gesagt, als ich sie hingestreckt vor dem Kreuz gefunden habe? „Ich habe gebetet und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich mich wehren darf.“ Und plötzlich habe ich den Eindruck, dass ich dem, was Schwester Gabriela gesagt hat, vertrauen kann. Der irdischen Gerechtigkeit, wie immer die im Detail aussehen mag, etwas nachzuhelfen, kann allerdings nicht schaden.
Ich treffe mich mit Karl Simatschek auf einer Parkbank vor dem Feldbacher Krankenhaus. Er ist einigermaßen irritiert, weil ich gar nichts gegen die Einweisung der alten Nonne habe. Und weil ich zufrieden nicke, als er erzählt, dass Waltensdorfer, diesmal gemeinsam mit Knobloch, eine Presseaussendung verfasst hat, in der die „Ingewahrsamnahme“ von Schwester Gabriela bestätigt wird und man allen dankt, die zur so raschen Klärung des Falles beigetragen haben.
„Ingewahrsamnahme, ein hübsches Wort“, sage ich.
„Ich habe noch lange nicht alle Untersuchungsergebnisse“, murmelt der Gerichtsmediziner.
„Und du erwartest noch etwas von Bedeutung?“
Er sieht mich an. „Würde ich so denken, würde ich nie etwas herausfinden. Ob etwas von Bedeutung ist, weiß ich erst, wenn ich alles, aber auch wirklich alles untersucht habe.“
„Geht mir genauso“, sage ich, küsse ihn auf die Wange und verabschiede mich. Ich weiß, was ich tun werde, um mir bis zum Treffen mit Vesna die Zeit zu vertreiben. Ich werde etwas für meine Fitness tun. Heute ist Samstag, da könnte „Elite Fitness“ auch tagsüber geöffnet haben. Zum Glück bekomme ich alle heiligen Zeiten einen Rappel und kaufe mir eine neue Sportausrüstung. Quasi ein Anlauf voll guten Willens, der aber dann immer durch irgendetwas gebremst wird. Eine dieser Ausrüstungen habe ich in einer kleinen Tasche im Kofferraum.
Besonders viel los ist nicht im Fitnesscenter. Ich kann mich frei zwischen allen möglichen Geräten entscheiden, das Fahrrad ist mir am wenigsten anstrengend erschienen. Jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Schweiß rinnt mir von der Stirn, aber das soll ja gut sein. Jung und schön: Dafür muss man schon etwas tun. Auch wenn es in meiner Altersklasse realistischerweise eher noch um „gut erhalten“ und „in Form“ gehen kann. Quatsch: Wer sagt, dass Achtundvierzigjährige nicht schön sein können? Irgendwelche dummen Männchen, die sich lieber mit Zwanzigjährigen herumtreiben, weil die weniger widersprechen? Leider nicht nur, wie wir wissen. Ich trete noch einmal kräftig in die Pedale. Geht uns doch allen so, dass wir jung und schlank als schön ansehen. Fragt sich bloß, warum. Weil wir es gelernt haben? Aus der Werbung? Von denen, die das Sagen haben? Oder ist es so etwas wie ein Naturgesetz? Die Jungen und Fitten werden als schön empfunden, weil sie am besten zur Fortpflanzung geeignet sind? Wer sagt das? Ein wenig Fett macht widerstandsfähig. Ich schnaufe und stelle den Fahrradcomputer auf die leichteste Stufe. Ha, so geht das wunderbar. Und sieht aus, als ob ich schnell wäre. Ich sehe mich um. Zwei jüngere Männer stemmen Gewichte und unterhalten sich dabei auch noch leise. Sind sie vielleicht vom Polizeikommando Feldbach? Es wird genug andere geben, die hierher trainieren kommen. Tatsächlich ist das Fitnesscenter, soweit ich das sagen kann, ausgesprochen gut ausgestattet. Alles ist sauber, großzügig. Ich steige vom Rad, wische mir den Schweiß von der Stirn und gehe hinüber zur Theke. Die junge Frau, die mich eingewiesen und mir ein „Schnupperticket“
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