Unterm Strich
Protagonisten auch demonstrative Geringschätzung entgegengebracht; in den Augen mancher Banker galten Politiker ganz offensichtlich als unfähig, ineffizient, verschnarcht und opportunistisch.
Was mir auffiel, war die deutlich unterentwickelte Sensibilität der Wirtschaftselite und ihrer Prätorianer gegenüber Politik und Gesellschaft. Das gilt auch für ihre direkte Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Wortwahl und Körpersprache waren häufig abgehoben und befeuerten Vorurteile, statt sie abzubauen. Die Vorstände der Finanzwelt brauchten weniger Kommunikationsberater, die für die Bestätigung in ihrer eigenen Welt zuständig sind, sondern vielmehr »Rabauken« von der anderen Seite des Zauns, die sich in der Außenwelt getummelt haben. Dieser Blick auf die Außenwelt ist nicht zufällig verstellt, sondern vorsätzlich begrenzt. Andreas Zielcke greift dieses Phänomen unter dem Begriff der Ignoranz auf: »Denn die Finanzwelt kann ihre überirdischen Gewinne nur erzielen, weil sie in hohem Maße Ignoranz einsetzt. Gezieltes Nichtwissen ist ihr herausragender strategischer Vorteil - die Befreiung von der Verantwortung für die Konsequenzen, die ihre Geschäfte auslösen. Indem sie die Lebenswirklichkeit der Außenwelt ausblendet, gewinnt sie die Autonomie der Gestaltungsfreiheit.« Insofern ist die Finanzkrise auch das Ergebnis einer besonderen beruflichen Sozialisation und der Abschottung in einer Parallelwelt auf höchstem Niveau.
In dieser »Parallelwelt an der Spitze« findet sich als besonderes Biotop auch eine »Mischpoke«, die einer Erwähnung wert ist. Sie zeichnet sich durch ein asoziales und amoralisches Verhalten aus, das deshalb so ärgerlich stimmt, weil diese Schicht über alle Voraussetzungen verfügt, zum Wohl des Gemeinwesens beizutragen. Ich bin in all den Jahren als Minister und als Privatperson - merkwürdigerweise am häufigsten auf Inseln - manchmal Maklern, Investmentbankern, Beratern und Jungunternehmern begegnet, die von einer erschreckenden Dünkelhaftigkeit, Selbstbezogenheit und Herablassung gegenüber dem »gemeinen Volk« waren. Sie nehmen Luft, Wasser, Erde - also öffentliche Güter - wie selbstverständlich für ihre privaten Baupläne, Sportaktivitäten und Hobbys in Anspruch. Sie bauen ihre Häuser bedenkenlos in Landschaftsschutzgebiete dank guter Beziehungen zu einer korrupten Kommunalpolitik. Sie nutzen ausländische Steuerstandorte und filigran ausbaldowerte Steuersparmodelle, um dem deutschen Fiskus ja keinen Cent zu viel zu überlassen. Sie verachten die Politik und wählen, wenn überhaupt, diejenige Partei, die sie am wenigsten in ihren Kreisen stört, sondern sie womöglich auch noch als »Unternehmer« stilisiert. Nicht selten tauchen in ihrem Schlepptau schwererziehbare, weil völlig verwöhnte Kinder auf, die dann auf Internate mit der Begründung geschickt werden, dass die öffentlichen Schulen in Deutschland zu schlecht seien.
Natürlich ist das kein sachdienlicher Hinweis. Aber dem Blick auf das »Prekariat« musste einmal der Blick auf soziale Deformationen in den oberen Etagen der Gesellschaft entgegengehalten werden. Susanne Schmidt richtet den Scheinwerfer in gleicher Weise auf die Finanzwelt und bestätigt deren Abkapselung, wenn sie schreibt: »Es interessiert in der Finanzwelt einfach nicht, wie man von den Normalmenschen wahrgenommen wird, oder besser: Normalmenschen interessieren nur insofern, als ihr Verhalten in ökonomische Indizes eingespeist wird, die dann ihrerseits die Finanzmärkte beeinflussen.« Ich bin noch nicht bereit, meinen Eindruck zu revidieren, dass selbst das unzweifelhaft seriöse und verantwortungsbewusste Spitzenmanagement sich nach wie vor über das Einkommen definiert und informell hierarchisch schichtet.
Unser Gesellschafts- und Wirtschaftssystem wird nicht von den linken oder rechten Rändern bedroht, sondern eher von einigen seiner Protagonisten. Das bedeutet nicht, dass alle Gewinner des Wandels blind für die wachsende Kluft in der Gesellschaft und die Auflösung von Bindemitteln für ihren Zusammenhalt sind. Aber nicht zuletzt die Finanzmarktkrise hat gezeigt, dass der mitreißende Turbokapitalismus offenbar Anlagen zu Arroganz und Ignoranz beflügelt, die den Sinn für Maß und Mitte, Proportionen und Balance getrübt haben. Der Gleichgewichtssinn ist gestört. Daher die Exzesse, Maßlosigkeit und Übertreibungen. Renditen müssen schwindelerregende Höhen erreichen. Kurzfristige »Performance« ist unter den Augen der
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