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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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simpel auf die Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung von Gerhard Schröder zurückzuführen. Auch insbesondere die Kurzarbeiterregelung, die auf eine Initiative des sozialdemokratischen Bundesarbeitsministers Olaf Scholz Anfang 2009 zurückgeht, hat dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet. Aber ohne die Schröder'schen Reformen wäre der Arbeitsmarkt sehr viel übler eingebrochen.
    Die politische Tragik dieser Arbeitsmarktreformen, die der SPD schwere Verluste und bis heute nicht verheilte innere Verletzungen eingetragen haben, liegt darin, dass ihre Rendite letztlich eine christdemokratische Kanzlerin in die Scheuer fuhr. Das öffnet in einem Exkurs die Bühne für die Spekulation, ob Gerhard Schröder zusammen mit Franz Müntefering im Mai 2005 nach meiner verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nicht doch von Neuwahlen hätte Abstand nehmen und die Legislaturperiode bis zur turnusgemäßen Bundestagswahl im Herbst 2006 hätte durchstehen sollen. Dann wäre ihm das Leuchten eines aufgehellten Konjunkturhimmels und einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt zugekommen - und darüber hinaus eine fulminante Fußballweltmeisterschaft, die Deutschland im Frühsommer 2006 von seinen besten Seiten zeigte. Nur, das konnte im Mai 2005 keiner ahnen. Nach einer gemeinsamen Wahlkampfveranstaltung, sechs Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im April 2005, lud mich Gerhard Schröder in einem Hotel in Bergisch-Gladbach bei einem (oder zwei?) Glas Rotwein zu einem Vieraugengespräch ein. Es ging um die Folgen des recht wahrscheinlichen Falles eines Regierungsverlustes der SPD in Nordrhein-Westfalen unter meiner Verantwortung. Meine Einschätzung war, dass ihn dann der für November 2005 terminierte Bundesparteitag der SPD zwar nicht stolpern lassen, aber doch mit schwerer Trefferwirkung ins Kanzleramt zurückschicken würde. Die Aussichten für die turnusgemäße Bundestagswahl zehn Monate später würden sich dadurch ziemlich verdunkeln. Aus einer Position der Stärke - ohne heftige Nebengeräusche aus der Partei - würde das stattdessen ein Wahlkampf mit Handicaps werden. Deshalb riet ich auf eine entsprechende Frage von Gerhard Schröder zu Neuwahlen im Falle einer Wahlniederlage der SPD in Nordrhein-Westfalen - und musste ihm heilige Eide auf mein absolutes Stillschweigen schwören, von denen ich erst mit der vorgezogenen Bundestagswahl im September 2005 entbunden wurde.
    Was hat Hartz IV bewirkt? Das Programm hat viele ehemalige Sozialhilfeempfänger deutlich bessergestellt. Sie wurden in die Arbeitsmarktförderung aufgenommen. Die Arbeitslosenstatistik wurde »ehrlicher«. Hartz IV hat dazu beigetragen, die Zahl der Arbeitslosen von 5 Millionen Anfang 2005 auf 3,3 Millionen Anfang 2009 zu senken. Insbesondere ging die Arbeitslosigkeit junger Menschen unter 25 Jahren im selben Zeitraum von 500000 auf 340 000 zurück. Der Paradigmenwechsel von einer Alimentation in der Arbeitslosigkeit hin zu einem Anspruch darauf, Hilfe bei der Jobsuche zu bekommen, war und bleibt richtig. Gelegentlich wird suggeriert, Hartz IV habe das Problem der Arbeitslosigkeit verschärft. Die öffentlichen Leistungen für Arbeitslose sind mit der Einführung von Hartz IV insgesamt gestiegen. Die Behauptung, Hartz IV habe in der Arbeitsmarktförderung die Bahn einer Abrissbirne gezogen und politisch das Terrain für eine Demontage des Sozialstaates bereitet, ist purer Unsinn.
    Hartz IV hat nicht zu der beabsichtigten Kostendämpfung geführt. Vor seiner Einführung zum 1. Januar 2005 zahlten Bund, Länder und Kommunen rund 39 Milliarden Euro für die Arbeits- und Sozialhilfe. Danach waren es bis 2009 nie weniger als 45 Milliarden Euro für Hartz IV (Bund: schwankend zwischen 35 und 39 Milliarden Euro, Kommunen: um und bei 9 Milliarden Euro). Hartz IV hat über die Jahre 2005 bis 2009 zwischen 12 und 15 Prozent des Bundeshaushalts belegt.
    Der Einwand der Gewerkschaften ist nicht von der Hand zu weisen, dass Hartz IV wie ein »Rasenmäher« wirke. An die unterschiedlichen Erwerbsbiographien, vom langzeitarbeitslosen Facharbeiter bis hin zu Frauen mit einem verdienenden Ehemann, wird ein Lineal gelegt, das alle einem gleich niedrigen Niveau unterwirft.
    Das begründet die Empörung der Betroffenen und liefert Stoff, aus dem sich Anfechtungen von Hartz IV speisen.
    Noch weitaus stärker fällt ins Gewicht, dass das Prinzip »Fördern und Fordern« nicht umgesetzt werden konnte. Im Fördern sind wir nicht gut genug und im Fordern nicht

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