Unterm Strich
Australien wählen sehr gezielt und ohne schlechtes Gewissen nach Qualität aus und »wollen, dass ihre Kinder gescheiter werden als ihre Eltern und ihre Zuwanderer tüchtiger als die Durchschnittsbürger ... Wer etwas kann, darf in jeder Farbe schillern. Wer aber schon daheim nicht mitgekommen ist, darf auch mit lautstarkem Verweis auf Haut und Haare nicht herein.« Deutschland hat Millionen von Migranten angezogen, die in der großen Mehrzahl - politisch unverdächtig ausgedrückt - diesem kanadischen oder australischen Maßstab definitiv nicht entsprechen.
Holger Steltzner weist in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung darauf hin, dass die Zahl der Ausländer in Deutschland von 1970 bis 2003 um 4,3 Millionen Menschen auf insgesamt 7,3 Millionen stieg. Die Zahl der sozialversicherten ausländischen Arbeitnehmer blieb aber bei 1,8 Millionen konstant, was nichts anderes heißt, als dass ein Großteil, am Arbeitsmarkt vorbei, direkt in das deutsche Sozialversicherungssystem eingewandert ist. Meinhard Miegels These, dass der Anstieg von Armut maßgeblich auf Einwanderung und eine unzureichende Integration der Migranten zurückzuführen ist, bestätigt der Blick auf nackte Zahlen: 44 Prozent der Einwanderer gelten als einkommensschwach, ebenfalls 44 Prozent der über 15 Millionen Migranten in Deutschland haben keinen Berufsabschluss, bei den Türken sind es sogar über 70 Prozent. Die Arbeitslosenquote von Ausländern betrug 2009 19 Prozent, die von Bürgern mit deutschen Wurzeln 8 Prozent - und Berlin ist mit 14 Prozent nicht nur als Bundeshauptstadt, sondern auch in vieler anderer Hinsicht spitze.
Ein deutsches Zuwanderungskonzept hat es entweder nie gegeben oder ist - sollte es im Verborgenen geschlummert haben - weitgehend gescheitert. Daraus resultieren nicht nur massive soziale Probleme, die sich in einigen Stadtvierteln wie zum Beispiel in Berlin-Neukölln mit einem Anteil von 40 Prozent Einwohnern mit Migrationshintergrund und 32 Prozent Hartz-IV-Empfängern zuspitzen, sondern auch erhebliche finanzielle Kosten. Letztere muten gegenüber den Rissen und Abgrenzungen in der Gesellschaft und im öffentlichen Raum sogar wie das kleinere Übel an. Immerhin: Im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung schätzte das Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien Anfang 2008 die Kosten einer unzureichenden Integration von Zuwanderern allein über die geringe »Arbeitsmarktteilhabe« auf 16 Milliarden Euro jährlich.
Die Lagebeschreibung gibt es in einer langen, schonenden Fassung und in einer kurzen, verletzenden Version: Die Kombination von Migrationshintergrund und Bildungsarmut, die zu Arbeitslosigkeit und sozialer Bedürftigkeit führt, mit einer Konzentration in bestimmten Quartieren fast jeder größeren Stadt und der Folge erhöhter Kriminalität auch und gerade unter Jugendlichen, ist zu offensichtlich, als dass ihre scharfen Kanten durch würdevolle Relativierungen weggeschliffen werden könnten. Der Schleier über dieser beunruhigenden Gemengelage, die auch von wechselseitig eher zunehmenden Aversionen, wenn nicht Feindseligkeiten zwischen Einheimischen und Zugewanderten vergiftet wird, ist inzwischen durch fast tägliche Medienberichte und Kronzeugen wie den Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, beiseitegezogen worden. Was er sagt, wird nicht dadurch falsch, dass es mit der heilen Welt von Integrationsillusionisten und der Verharmlosungssprache politischer Korrektheit kollidiert.
Wir haben ein Problem! Dieses Integrationsproblem geht sicher nicht nur auf eine fehlgeleitete Zuwanderungspolitik zurück. Es erstreckt sich auf ein »abgehängtes« Sozialmilieu mit starkem Migrationshintergrund, das nur langfristig mit viel Geduld und viel Geld für Bildung, Lehrstellen und die Entschärfung sozialer Brennpunkte in den Griff zu kriegen ist. Gelingt es einer Gesellschaft auf Dauer nicht, ihre Verlierer zu integrieren, untergräbt sie ihre Fundamente. Die Zentrifugalkräfte werden stärker und hebeln schließlich das System aus. Insofern ist der Aufwand, die Verlierer ins Zentrum der Gesellschaft zurückzuführen und sie am Sagen und Haben zu beteiligen, reiner Selbstschutz.
Solange der eher wohlsituierte Teil der Gesellschaft diese Logik nicht kapiert oder sich ihr verschließt, riskiert er zumindest seinen Status und seine gesellschaftliche Stabilität. Dann aber passiert es leicht, dass der Staat repressive Schalthebel in Gang setzt, ohne zu registrieren, dass damit die Werte außer Kraft
Weitere Kostenlose Bücher