Unterm Strich
Länder auszuweichen, die ihnen mehr vom hartverdienten Geld oder den Gewinnen lassen. Steuerhinterziehung und Steuerbetrug werden aus dieser Sicht zu einem Akt der Notwehr gegen den angeblich konfiskatorischen Staat. In dieser sagenhaften Geschichte ist der Staat ein gewaltiger Krake, der mit langen Fangarmen in die Geldbörsen der Bürger greift und seine Ineffizienz mit immer höheren Steuern finanziert. Niedrige Steuern versprechen in dieser Legende den Himmel auf Erden: endlich mündige Bürger, weniger Staat, mehr internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Mit dem Mythos vom angeblichen Hochsteuerland Deutschland wird dem Bürger ein Problem vorgegaukelt, das es - jedenfalls in der Schärfe, mit der es beschrieben wird - gar nicht gibt. Mit Steuersenkungsankündigungen wird er anschließend wie der Esel mit der Mohrrübe in die Wahllokale gelockt; leider kommt er meist erst nach der Wahl auf den Trichter, dass solche Versprechen am harten Boden der Realitäten zerschellen.
Ist Deutschland wirklich ein Hochsteuerland, sogar ein Höchststeuerland, wie manche behaupten? Wieder lassen die Zahlen stutzen. Bezogen auf die Gesamtwirtschaftsleistung, weist die OECD für Deutschland einen Anteil aller Steuern und Abgaben von 36,4 Prozent (2008) aus. Damit liegt Deutschland 0,6 Prozent über dem Durchschnitt aller OECD-Staaten, aber deutlich unter dem Durchschnitt der alten EU-15 mit 39,7 Prozent (die neuen Beitrittsländer vor allem aus Mittelosteuropa starteten nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus mit extrem niedrigen Steuer- und Abgabenquoten und verzerren daher das Bild). »Deutschland ist im Vergleich zu anderen OECD-Staaten kein Hochsteuerland«, heißt es denn auch in der jüngsten Steuerstudie der OECD über die Bundesrepublik.
Ohne Berücksichtigung der Sozialbeiträge, also nach der reinen Steuerquote, läge Deutschland mit 23,1 Prozent sogar recht deutlich unter dem Durchschnittswert der OECD mit 26,7 Prozent. Diese Zahl liefert den entscheidenden Hinweis, dass in Deutschland nicht die Steuerbelastung das Problem ist, sondern die Höhe der Sozialversicherungsabgaben. So zahlt ein verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern bis zu einem Jahresbruttogehalt von 40000 Euro unter Berücksichtigung des Kindergeldes gar keine Steuern, wohl aber fast 8000 Euro Sozialversicherungsabgaben. Bis zu einem Jahresbruttogehalt von rund 40 000 Euro sind die Sozialversicherungsabgaben bei einem Ledigen höher als die Belastung durch die Einkommensteuer, bei Ehegatten liegt diese Grenze sogar bei 60 000 Euro.
Dieser feine, aber wichtige Unterschied zwischen Steuerbelastung und Abgabenlast führt zu einer Differenzierung, die den Mythomanen mit ihrem politischen Geltungsanspruch der Steuersenkung gar nicht gefallen kann. Steuersenkungen nützen den unteren Einkommensbeziehern herzlich wenig, weil sie gar keine oder verhältnismäßig wenig Steuern zahlen. Dagegen profitieren die oberen Einkommensbezieher davon überproportional. Und noch etwas kommt hinzu: Die oberen Einkommensbezieher haben die höchste Sparquote. Bei einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von 2000 Euro liegt die Sparquote bei 2,4 Prozent, bei einem mittleren Haushaltsnettoeinkommen von 5000 Euro bei 13 Prozent und im Korridor zwischen 5000 und 18 000 Euro bei fast 22 Prozent. Mit anderen Worten: Die Bezieher niedriger Einkommen würden in der Tat mehr konsumieren, wenn sie denn könnten, können sie aber nicht, weil sie von Steuersenkungen nichts oder nur wenig mehr im Portemonnaie hätten. Die oberen Einkommensbezieher sähen sich überproportional beglückt durch Steuersenkungen und könnten mehr konsumieren, tun sie aber nicht, weil sie einen erheblichen Teil auf die hohe Kante legen. So viel zum Verteilungseffekt und angeblichen Konsumimpuls von Steuersenkungen. Darüber fängt der Mythos immerhin schon zu wackeln an.
In höchste Erregungszustände geriet Guido Westerwelle in seinen Oppositionszeiten immer dann, wenn er der Regierung der großen Koalition unter Hinweis auf die Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozent zum 1. Januar 2007 die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vorwarf. Das mag, isoliert betrachtet, nicht einmal falsch gewesen sein. Was der Oppositionsführer geflissentlich verschwieg, war die nachweisbare Tatsache, dass alle Maßnahmen der schwarz-roten Bundesregierung zwischen 2006 und 2009 per Saldo - also auch unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuererhöhung - zu einer Entlastung von
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