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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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angelsächsischen Sportsgeist, den Spaß am Durchsetzungsvermögen des Stärkeren, eröffneten die Jagd auf das schnell verdiente Geld ohne Rücksicht auf Verluste und vereinnahmten Multiplikatoren in Wirtschaftsredaktionen. Letztere fanden das Ganze wunderbar dynamisch und zählten ja auch nicht den Arbeitnehmer in einem abstürzenden Industriebetrieb oder die Empfängerin von Lebensmittelkarten zu ihren Lesern.
    Die Schäden des »Reaganismus« - wie nicht weniger des »Thatcherismus« - stellten sich erst später, dafür mit umso ernsteren Folgen ein. Jedwede Haushaltsdisziplin wurde aufgegeben. In den acht Jahren der Ära Reagan nahm die US-Staatsverschuldung von 1,1 Billionen auf 2,6 Billionen US-Dollar zu. Es wurde der Wunderglaube verbreitet und begierig angenommen, dass Steuersenkungen automatisch ein höheres Wirtschaftswachstum generierten, das seinerseits die Einnahmeverluste der öffentlichen Hände eins zu eins ausgleichen würde - vielleicht nicht umgehend im nächsten Fiskaljahr, aber doch irgendwann. Dieser Finanzvoodoo fand großen Zulauf. Die Erfahrungen in den USA und anderen Ländern stießen seine Jünger zwar mit der Nase auf wachsende Haushaltsdefizite und die problematischen Folgen gekürzter öffentlicher Leistungen. Diverse Studien belegten jedoch eindeutig, dass sich Steuersenkungen nicht über phantastische Hebelwirkungen quasi selbst finanzieren. Aber das prallte ab, wie wir bis heute auch in Deutschland beobachten können, wo diese Sekte inzwischen auf der Regierungsbank Platz genommen hat.
    Die Steuersenkungen in den USA kamen vor allem und gezielt den oberen Einkommensbeziehern zugute. Für sie wurde die Amtszeit von Ronald Reagan zu einem zweiten »gilded age« mit einer rasanten Vermögensakkumulation. Dementsprechend nahm die Verteilungsschieflage in den USA signifikant und mit anhaltendem Trend bis ins neue Jahrhundert zu.
    Das Paradigma der Deregulierung legte eine lange Lunte, die ab 2007 zu einer Serie von Explosionen führte. In der Fixierung auf den Shareholder-Value, unter der Hypnose von Quartalsbilanzen und täglichen Aktienkursen, wurde die amerikanische Wirtschaftsstruktur durchforstet. Renditeschwache Industrieunternehmen wurden zerlegt und verschwanden vom Markt - und mit ihnen viel Know-how. Das angelsächsische Modell des Turbokapitalismus gewann Strahlkraft über das kontinentaleuropäische Modell der sozialen Marktwirtschaft, welchen Zuschnitts auch immer. Die alte Deutschland AG geriet unter die Räder dieser Alternative. Sie pflege deutschen Korporatismus, hieß es, der das Kapital binde, statt es im Sinne des größten Grenznutzens zu mobilisieren. Der Vorwurf saß. Mit der sich auflösenden Deutschland AG verschwanden Unternehmenskulturen und ein verantwortungsbewusstes Managerselbstverständnis, das wir heute nicht selten vermissen.
    Das war aber nicht der einzige Schaden des »Reaganismus«. Außen- und sicherheitspolitisch wurde ein rigides Freund-Feind-Verständnis implementiert, das ungetrübt bis in die Amtszeit von George W. Bush Denken und Handeln US-amerikanischer Strategen durchzog und mit entsprechender Betonung militärischer Stärke in einer Präventivkriegsstrategie gipfelte - und darüber dem Land finanzielle Mittel für andere Verwendungszwecke entzog.
    Dieses politische Erbe beschwert die USA umso mehr in einer Phase, in der sie aus einer rückwärts gewandten Orientierung auf ihre Mission herausgeführt und auf neue Horizonte eingestimmt werden müssten. »Die Erfahrung einer nachimperialen Periode steht den USA erst noch bevor« - anders als europäischen Ländern, die ihren Abschiedsschmerz inzwischen überwunden haben. Die Abkehr von einer unipolaren Machtstellung und die entsprechende Annahme einer neuen Rolle in einer multipolaren Welt können in souveräner Selbsterkenntnis und Selbstbescheidung erfolgen - vielleicht sogar mit einer gewissen Erleichterung über geringere Bürden - oder widerspenstig mit Eruptionen, die innen- und außenpolitisch hohe Wellen schlagen. Jan Ross bezieht sich in seinem zitierten Zeitungsartikel auf die Mentalität, die die USA groß gemacht hat - Optimismus, Fortschrittsgläubigkeit, nicht zu vergessen ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein. Und er fragt, ob diese Mentalität nicht jetzt zum Problem werden könnte, »weil sie dem Selbstzweifel, der Bescheidung, dem friedlichen historischen Älterwerden entgegensteht: Die USA sind definitionsgemäß die >Neue Welt<, wie sollen sie sich darauf einstellen, dass

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