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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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Höhe unterstützen. Das heißt, sie können mittels ihrer Finanzkraft solche Kandidaten buchstäblich abhängen, die ihren Interessen nicht genehm sind, und diejenigen promoten, die sich in Washington ganz auf ihrer Linie bewegen. Damit ist einem Lobbyismus Tür und Tor geöffnet, der letztlich die Unabhängigkeit und Integrität demokratischer Institutionen aushöhlen kann.

    Diese sechs Spotlights beleuchten Defizite und Fehlsteuerungen nicht aus geringschätziger oder respektloser Position gegenüber den USA. Amerikanische Gesprächspartner haben mich auf viele dieser Probleme erst aufmerksam gemacht oder sie mir bestätigt, ohne dass sie hier als Kronzeugen bemüht werden sollen. Das gilt auch für Henry Kissinger, der mich im März 2009 in meinem Büro wissbegierig zur Finanzmarktkrise befragte und in seiner Replik eine ganze Reihe von Sorgen über die Entwicklung der USA teilte. Kein anderer Tenor spricht aus den Worten und Interviewäußerungen Paul Volckers, den Einlassungen aufmerksamer Beobachter wie beispielsweise des Soziologen Richard Sennett oder von Mitgliedern des American Council wie zum Beispiel Jackson Janes. Nicht zuletzt kommt der National Intelligence Council der USA, der Zugriff auf die Analysen aller US-Geheimdienste hat, in einer Ende 2008 veröffentlichten Studie (Global Trends 2025: A Transformed World), deren Ergebnisse jedermann zugänglich sind, zu dem Schluss, dass mit einer gewaltigen Verschiebung von Reichtum und wirtschaftlicher Macht zu rechnen sei und die dominante Rolle der USA in einer multipolaren Welt relativiert werden würde.
    Eher überrascht war ich über die unverblümte Offenheit des früheren US-Präsidenten George W. Bush in einem Gespräch, zu dem er die G7-Finanzminister an einem sehr frühen Samstagmorgen im Oktober 2008 ins Weiße Haus gebeten hatte. Die Finanzkrise war einen Monat zuvor aufgrund der Pleite von Lehman Brothers eskaliert und hätte fast zu einer Kernschmelze der Finanzmärkte geführt, wenn nicht buchstäblich in letzter Sekunde die Insolvenz des großen Kreditversicherers AIG verhindert worden wäre. Bei diesem Treffen äußerte sich Präsident Bush für mich überraschend hellsichtig und kritisch über die Folgen der Krise nicht nur für den US-Finanzsektor, sondern auch im globalen Maßstab. Keinen geringen Anteil an diesem Gespräch hatte auch die Frage nach den Auswirkungen der Finanzkrise auf die Gesellschaften der G7-Staaten. Ausnahmslos allen Teilnehmern war klar, dass diese Krise sich nicht nur in ökonomischen Parametern ausdrücken, sondern auch zu gesellschaftlichen Verstörungen und Empörungen der »Main Street« gegen die »Wall Street« führen würde.
    Insofern erschien es mir nur folgerichtig, dass Bush die Initiative zum ersten Weltfinanzgipfel wenige Wochen später am 14./15. November 2008 in Washington ergriff und dabei den G7-Rahmen erstmals zu Gunsten eines G20-Rahmens unter Einschluss wichtiger Schwellenländer erweiterte.
    Präsident Obama hat es erstens mit dem Erbe der nicht zuletzt von Präsident Bush jr. fortgeschriebenen»Reagan'schen Revolution« und zweitens mit der überaus schwierigen Aufgabe zu tun, sein Land auf die sich ändernde globale Tektonik einzustellen. Was die Nachwehen aus der Zeit von Reagan betrifft, so ist die Finanzkrise mit ihrem Ursprung in den USA kein versehentlicher Betriebsunfall. Ihr ging in den USA der »Feldzug« einer monetaristischen Wirtschaftsschule und »neoliberaler« Spin-Doktoren voraus, durch den Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre eine Deutungshoheit über das Wirtschaftsgeschehen gewonnen wurde. Nach dieser Doktrin wirkt der Staat durch seine Eingriffe und Regelsetzungen nicht nur störend auf den Markt ein, sondern er ist das Übel schlechthin, weil er die Bürger konfiskatorisch beraubt und zu Lasten von Freiheitsräumen bevormundet. Stattdessen sollte der Markt entfesselt und auch auf bisher öffentliche Versorgungsbereiche ausgedehnt werden. Seiner Räson wurde gehuldigt und geopfert. »Rules are for fools« hieß die Devise der Marktversessenheit und Staatsvergessenheit. In dieser Zeit legte der US-Ökonom Alfred Rappaport mit seinem 1986 veröffentlichten Buch Shareholder Value den Grundstein für eine beispiellos kurzfristige Rendite- und Verwertungslogik. Sie erhielt nahezu Kultstatus - auch in Deutschland - und zerstörte ganze Unternehmenskulturen.
    Ronald Reagan und seine Schwester im Geiste, Margaret Thatcher, wurden zu Ikonen von Managern, weckten den

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