Unterm Strich
auf einmal andere das Junge und Unverbrauchte darstellen? Von den Amerikanern, die bisher fast immer Sieger gewesen sind, weiß man nicht, ob sie gute oder schlechte Verlierer abgeben werden.«
In einer Zeit, in der die Welt aus alten Formaten heraustritt und sich neu justiert, in der von der Regulierung der Finanzmärkte bis zum Klimaschutz eine Global Governance errungen werden muss, in der die USA sich langsam aus ihrer Rolle als Solist lösen müssen, um auf den Platz der Ersten Geige zu wechseln, in einer solchen Zeit steht das politische System der USA vor schwersten Entscheidungen und muss seine Fähigkeit zur Selbstkorrektur und Erneuerung beweisen. Darüber könnte sich der Blick der Amerikaner stärker nach innen richten, wobei nostalgischen Reminiszenzen an isolationistische Phasen in ihrer Geschichte, wie zuletzt zwischen 1919 und 1941, durch die heutigen globalen Abhängigkeiten und Vernetzungen der Boden entzogen sein dürfte. Protektionistische Neigungen hingegen machen sich sehr wohl bemerkbar. Das Hohe Lied des Freihandels wird selbst in Washington nicht laut gesungen, geschweige denn im Mittleren Westen. Der Abschluss des dringend erforderlichen und nutzbringenden WTO-Abkommens ist bisher auch an den USA gescheitert. Auflehnungen gegen Firmenaufkäufe durch ausländische Investoren und Grenzziehungen gegen das Engagement ausländischer Staatsfonds in sensiblen Infrastrukturbereichen wie der Energieversorgung oder Hafenwirtschaft gehören längst zum politischen Repertoire der USA.
Ob die Finanz- und Wirtschaftskrise im Zuge der Besinnung der Amerikaner auf die Innenwelt ihrer Nation auch zu einem Einstellungswandel führt, der die Bewunderung von Spekulanten in eine Verachtung ihres exhibitionistisch zur Schau getragenen Reichtums umschlagen lässt, ist schwer nachweisbar und führt auf das schwierige Gelände der Sozialpsychologie. Uninteressant ist diese Frage deshalb jedoch keineswegs. »Mit der Rezession geht in Amerika die Ära des Exzesses zu Ende, der die Nation über alle politischen Gräben hinweg so wunderbar geeint hatte. Ein Mentalitätswandel ist im Gange, der nachhaltigere Folgen haben wird als die ideologischen Verirrungen unter Bush oder die Wahl eines schwarzen Präsidenten ... Prassen, eben noch in jedem zweiten Hip-Hop-Song zum Synonym von Macht, Potenz und Sex erklärt, ist nun peinlich.« So Jörg Häntzschel im Frühjahr 2009 in der Süddeutschen Zeitung. Anzeichen für einen solchen Mentalitätswandel vermag ich leider nicht zu erkennen.
Ein Rollen- und Perspektivwechsel der USA kann uns nicht gleichgültig lassen. Er betrifft Europa mit Deutschland so fundamental, dass sich eher Verwunderung einschleicht, wie wenig darüber debattiert und der atlantische Kontakt gesucht wird. Häme über sich abzeichnende Schwächen der USA, die sich »mittlerweile zu einem beachtlichen Handicap für die Wettbewerbsstellung gegen außen und die Möglichkeiten im Innern, der eigenen Bevölkerung einen steigenden Lebensstandard zu verschaffen ... summieren«, und über entgleisende Züge einer manchmal zur Schau getragenen Großmannssucht verbietet sich. Das wäre dumm und vermessen angesichts eigener struktureller Defizite und Orientierungsschwächen.
Richtig ist, dass die USA ein ökonomisches und militärisches Schwergewicht bleiben, aber sie werden sich nicht mehr im Alleingang durchsetzen können. Ebenso richtig ist, dass es nur mit den USA eine Chance gibt, Fortschritte zu erzielen und weltweite Spielregeln zu verankern. Wir Europäer und Deutsche sind und bleiben auf die USA angewiesen. Beide Seiten des Atlantiks suchen in einer sich gewaltig verändernden Welt nach einer neuen Rolle. Und es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, dass wir sie jeder für sich und einander ergänzend finden.
Der Drache wacht auf: China
China, China, China! - Der frühere Bundeskanzler Kurt Kiesinger hatte mit seinem Ausruf in den sechziger Jahren, während das Land gerade in den Perversitäten der Kulturrevolution versank, offensichtlich hellseherische Fähigkeiten. China wird inzwischen von vielen Seiten als treibende Kraft einer neuen Weltordnung und als Herausforderer westlicher Platzhirsche betrachtet. Das Bild dieses Landes, das schon einmal bis ins 18. Jahrhundert hinein an der Spitze der Weltkulturen stand und ein Reich mit einem Aktionsradius über den halben Erdball war, schwankt. Während die einen seine atemberaubenden Wirtschaftsdaten bejubeln, nehmen die anderen konsterniert seinen
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