Unterm Strich
Immobilienmarkten ablenken. Die Beseitigung von Bremsklötzen für kleine und mittlere Privatunternehmen würde zur Erweiterung von Konsumangeboten und in der Folge zu einer breiteren inländischen Nachfrage führen. Tatsächlich ist aufgrund des exportgetriebenen Wachstumsmodells der Chinesen der Anteil des Konsums am BIP zwischen 2000 und 2007 von 45 auf 35 Prozent gesunken. Ebenso würde die Binnennachfrage auch von einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung in diesem Staat mit seiner kommunistischen Doktrin profitieren. Eine entsprechende Umverteilung zeichnet sich aber nicht ab.
Zehn Tage vor dem zweiten Weltfinanzgipfel der G20-Staaten am 2V3. April 2009 in London veröffentlichte Gouverneur Zhou Xiaochuan auf der Homepage der Chinesischen Zentralbank einen Beitrag, in dem er die Leitwährungsfunktion des US-Dollar in Frage stellte und stattdessen die Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds ins Spiel brachte. Natürlich war das grotesk, weil jeder Währungsexperte die Proportionen der umlaufenden Dollarmenge von 8,6 Billionen US-Dollar (die sogenannte M2-Geldmenge) zum augenblicklichen Bestand an Sonderziehungsrechten (314 Milliarden US-Dollar) kennt. Das weiß auch Gouverneur Zhou, der ein Mann mit hohem ökonomischen Sachverstand und internationalem Überblick ist und mich in Gesprächen wie auch auf Konferenzen immer wieder beeindruckt hat.
Kurz vor der Veröffentlichung seines Artikels gab es eine Einlassung des chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao, aus der hervorging, dass er sich um die chinesischen Währungsreserven Sorgen machte, die in Dollarpapieren oder -beteiligungen angelegt sind. Von einem Zufall oder eigenmächtigen Vorstoß des chinesischen Zentralbankgouverneurs wird deshalb keiner reden wollen. Es war vielmehr vor einer so wichtigen internationalen Konferenz wie dem Londoner Finanzgipfel ein klar kalkuliertes und offensives Signal, das ein weiteres Mal das gewachsene chinesische Selbstbewusstsein ausdrücken sollte. Es zielte gleichzeitig auf die Aufgeschlossenheit anderer Schwellenländer, dem »Dollarimperialismus« einen Stich zu versetzen, um konkret mehr Mitspracherechte im IWF zu erlangen. Was in London auch gelang. Wenige Wochen nach dem Finanzgipfel nahm denn auch eine Konferenz der BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) im russischen Jekatarinenburg das Thema wieder auf und hielt die Frage nach einer zukünftigen Leitwährung auf der Basis eines Korbs mehrerer Währungen in der Schwebe.
Dieser Vorstoß Chinas war eines der Schlüsselerlebnisse, die mich erkennen ließen, in welchem Ausmaß die Finanzkrise und ihre Folgen die globale Tektonik in Bewegung gebracht haben. Aus der Sicht Chinas hat der westliche liberale Kapitalismus versagt und sich an den Rand des Abgrunds manövriert, während sich das chinesische Modell eines Staatskapitalismus mit Politbüro in der Krise bewährt und dem westlichen Kapitalismus sogar Halteseile gespannt hat. China sieht sich als Gewinner im Systemvergleich. Nicht zuletzt deshalb ist es eine Illusion, zu glauben, es werde sich reibungslos in eine liberale, kapitalistische und demokratische Weltordnung integrieren. Die Chinesen und ihre Regierung seien einer anderen Vorstellung von Gesellschaft und Politik verpflichtet, zitiert Professor Dani Rodrik den britischen Gelehrten und Journalisten Martin Jacques: »... gemeinschaftsorientiert statt individualistisch, zentralistisch statt liberal, autoritär statt demokratisch«. China würde sich nicht einfach westlichen Werten und Institutionen fügen. Eine auf China konzentrierte Weltordnung würde eher chinesische Werte reflektieren als westliche.
Für diese These spricht einiges, wenn man die chinesische Position in den Welthandelsgesprächen der Doha-Runde, die Kopenhagener Weltklimakonferenz und zum Iran im UN-Sicherheitsrat Revue passieren lässt, hinter die Kulissen der G10-Finanzministertreffen schaut, sich an den Auftritt des chinesischen Außenministers auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2010 erinnert oder die - inzwischen nicht mehr ganz so apodiktische - Rechtfertigung eines immer noch unterbewerteten Kurses der chinesischen Währung verfolgt. Die entscheidende Frage ist, ob China als Vetomacht oder als konstruktive Gestaltungsmacht auftritt. Nach meinen Erfahrungen aus G20- und G7/G8-Konferenzen, die durch sogenannte Outreach-Meetings unter Einbeziehung unter anderem von China erweitert wurden, sowie aus bilateralen Gesprächen mit
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