Unterm Strich
aufgelaufen ist, eine Nettokreditaufnahme, die 2009 und 2010 die Steuereinnahmen übersteigt, eine alternde Bevölkerung und deflationäre Tendenzen wiegen schwer im Gepäck. Aber in der Tat drängt sich der Eindruck auf, Japan habe China eine Modellbauanleitung gegeben: eine atemberaubende Industrialisierung und Modernisierung, Technologiebegeisterung, ein bis weit in die achtziger Jahre unterbewerteter Yen, eine krasse Exportorientierung, Dirigismus durch Pralines für ein privates Unternehmertum - das sagenumwobene Ministerium für Industrie und Handel (MITI) lässt grüßen -, Anlagen und Unternehmensbeteiligungen in den USA, die dort fast wie ein ökonomisches und kulturelles Pearl Harbor wirkten. All das hat einen gewissen Wiedererkennungswert bei der Betrachtung Chinas. Aber es gibt keine Gesetzmäßigkeit, nach der die weitere Entwicklung Chinas dem Fahrwasser von Japan folgt.
Von der Blase auf den Immobilien-, Aktien- und Anlagemärkten war die Rede. Die Größenordnung fauler Kredite in den Büchern der Staatsbanken ist unbekannt. Sie könnte zu einem bösen Erwachen führen. Die Inflationsgefahr ist unübersehbar. Marode Staatsbetriebe belasten den Staatshaushalt und entziehen produktiveren Verwendungen finanzielle Mittel. Die Umweltverschmutzung hat über die Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung längst auch eine ökonomische Dimension. Die ungebrochene Woge von Millionen Menschen, die jedes Jahr vom Land in die Städte fluten, ist sowohl für die diversen Versorgungsnotwendigkeiten in den Urbanen Großräumen als auch für die Entwicklung des ländlichen Raumes, wo immer noch 750 Millionen Chinesen leben, eine Herausforderung. Diese regionalen Disparitäten zwischen Stadt und Land korrespondieren mit enormen Einkommensungleichgewichten.
Tatsächlich konzedieren selbst chinesische Offizielle Probleme, wenn sie den Eindruck haben, dass solche vertraulichen Gespräche nicht instrumentalisiert werden. Wahrscheinlich werden sich Chinas Wachstumsraten gegenüber den letzten 30 Jahren verlangsamen, in denen das Wachstum mit Ausnahme der Jahre 1981,1989 und 1990 nie unter 7,6 Prozent, in 20 Jahren oberhalb von 9 Prozent lag. Aber niemand sollte sich und andere in einer falschen Sicherheit wiegen: In China - wie in Asien insgesamt - sind Schwungräder in Gang gekommen, die nicht immer rund laufen mögen, die aber das globale Gefüge verändern. Sie demolieren auch manch liebgewonnene Vorstellung von einer Art Kontinuum unseres Wohlstands. Sie räumen einiges von unserer Tischdekoration ab, die wir uns eigentlich nicht mehr leisten können, auf die wir aber partout nicht verzichten wollen. China mag die Probleme eines Heranwachsenden haben, bei dem einiges ins Kraut schießt - und das bei einer ordentlichen Portion Testosteron. Aber es ist hungrig, hellwach, technologieaffin und voller Nationalstolz. Die Kombination aus autokratischer Politik, krassem Kapitalismus und nationaler Identitätsfindung plus Mao-Kult (statt kommunistischer Ideologie) kann ein Gemisch bilden, »das für kühne Fortschritte und verheerende Explosionen geeignet erscheint«.
Was setzen wir dem entgegen? Europa und Deutschland werden sehr viel mehr Kraft und politischen Verstand bei der Suche nach Antworten auf zwei entscheidende Fragen aufwenden müssen - erstens die nach Anstrengungen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten, und zweitens die nach den Auswirkungen der chinesischen Entwicklung auf unsere Sicherheit und Ordnungsprinzipien.
Sicherheitspolitik ist ein eigenes Kapitel - nicht in diesem Buch. Meistens stehen dabei militärische Konfliktszenarien, bündnis- und rüstungspolitische Fragen im Vordergrund. Dafür fehlen mir die Grundlagen. Mir geht es um das, was Michael Rühle treffend die »Ökonomisierung der Sicherheitspolitik« genannt hat. Darunter sind, naheliegend, Aspekte der Energie- und Rohstoffversorgung zu verstehen, wobei es insbesondere um solche Rohstoffe geht, die für die Entwicklung moderner Technologien von strategischer Bedeutung sind, wie zum Beispiel Platin, Indium, Kobalt oder Titan, und die daher nicht monopolisiert werden dürfen. China ist längst dabei, weltweit Claims für seine Rohstoffversorgung abzustecken. Es ist das Verdienst von Wolfgang Ischinger, dem Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, dass diese Facette der Sicherheitspolitik stärkere Beachtung findet.
Für diese Art sicherheitspolitischer Herausforderungen fehlt es noch an Vorstellungskraft. Einiges spricht dafür, dass sie
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