Unterm Strich
chinesischen Regierungsmitgliedern verfolgen die Chinesen in den internationalen Beziehungen sehr geschickt die Strategie, das Blatt im Sinne ihrer Interessen bis an die Grenzen dessen auszureizen, was ihnen die anderen Teilnehmer gerade noch zugestehen, ohne selbst Verpflichtungen einzugehen oder konkrete Zusagen zu machen.
Die Ideologiekonkurrenz aus der Zeit der bipolaren Welt, in der sich der Block eines gebremsten Kapitalismus dem Block eines realen Sozialismus gegenübersah, bevor dieser wegen seiner Lebenslügen und Ineffizienzen zusammensackte, bestimmt nicht mehr den Lauf der Welt. Heute konkurrieren ökonomische Systeme miteinander, und es ist keinesfalls eine ausgemachte Sache, dass asiatische, lateinamerikanische und afrikanische Staaten die Überlegenheit und Vorteilhaftigkeit der westlichen Ordnungen erkennen und übernehmen. China arbeitet mit Ländern unterschiedlicher politischer Verfassung zusammen. »Dazu sucht es Zugang zu Energie- und Rohstoffquellen - in welchen Diktaturen diese auch immer zu finden sein mögen. Die Modernisierung des eigenen Landes hat Vorrang; das Glück der Welt kann warten.«
China liefert anderen Schwellen- und Entwicklungsländern ohne Ansehen ihrer politischen Systeme Waren, baut ihnen Infrastruktur, gibt ihnen Kredite und leistet gegen Energie- und Rohstofflieferungen Hilfe zum Ausbau von staatlichen und administrativen Strukturen. Anders als der Westen verlangt es von diesen Ländern nicht, eine lange Liste von Lieferbedingungen zu unterschreiben. Das steigert seine Anziehungskraft.
Francis Fukuyama hat in seinem berühmten, Kritik auslösenden und immer wieder zitierten Essay Das Ende der Geschichte aus dem Jahr 1989 den »Endpunkt der ideologischen Evolution der Menschheit und die Universalisierung der liberalen Demokratie westlicher Prägung als finale Regierungsform« verkündet. Was die ideologische Systemkonkurrenz betrifft, hat er höchstwahrscheinlich recht. Das politische, ökonomische und moralische Desaster des konkretisierten Sozialismus ist zu bodenlos und offenkundig, als dass es noch Kopisten und Reanimateure ernsthaften Kalibers geben dürfte. Es sei denn, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebändigte Kapitalismus wird aus dem Käfig in seinen frühkapitalistischen Naturzustand zurückgeführt - und schafft sich wieder eine Antithese. Einige Marktschreier und Entfesselungskünstler arbeiten daran. Und die Finanzkrise gießt Öl ins Feuer.
Dagegen dürfte sich Francis Fukuyama hinsichtlich der universalen Anerkennung der liberalen Demokratie irren. Die Annahme ihrer Protagonisten, Wirtschaftswachstum mit einer Steigerung des Einkommens würde automatisch eine Demokratisierung nach sich ziehen, hat sich als ebenso falsch erwiesen wie die Vorstellung, man könne Demokratie mit einem militärischen Schuhanzieher zum Laufen bringen.
Der französische Autor Michel Houellebecq hat die Globalisierung als »Ausweitung der Kampfzone« beschrieben. Das klingt sehr martialisch, trifft aber eine Charakteristik. Es hat sich nicht bloß die Zahl der Wettbewerber erhöht, sondern es geht mehr denn je auch um Marktbeherrschung und die Durchsetzung ökonomischer Ordnungsvorstellungen, die sich in politischen Einfluss überführen lassen. Die »Vorbildfunktion des angelsächsischen Kapitalismus« ist durch die Finanzkrise erschüttert worden. Der »chinesische Kommandokapitalismus« (Moritz Koch) hat dagegen als Muster in afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Ländern an Attraktivität gewonnen. Dort werden Demokratie und Liberalität ohnehin als Ballast für die ökonomische Entwicklung empfunden. »Der Verzicht auf Demokratie erweist sich hier nicht als Hemmschuh der Entwicklung, sondern als Modernisierungsbeschleuniger.« Bleibt die Frage, ob Europa willens und in der Lage ist, für sein Kontinentalmodell einer sozialen Marktwirtschaft in Kombination mit einem liberalen Wertekanon zu werben und weltweit Anhänger zu finden.
Der Katalog von Problemen und Defiziten, die darauf hinwirken, dass Chinas Baum nicht in den Himmel wächst, ist lang. Gelegentlich wird eine Parallele zum rasanten Lauf Japans und zu seinen Mitte der neunziger Jahre einsetzenden Atembeschwerden gezogen, die bis heute nicht kuriert sind und sich in einer andauernden Phase der Stagnation auf hohem Niveau hinziehen. Eine Verschuldung von etwa 220 Prozent des BIP, die allerdings in einheimischen Händen liegt und nicht wie im Fall der USA bei ausländischen Gläubigern
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