Unterm Strich
einen starken, aber nicht ausschließlichen chinesischen Stempel trägt. Im Informationszeitalter, in dem Daten als Ressourcen zu verstehen sind, Datenleitungen, Mobilfunknetze und Satellitenverbindungen zur modernen Infrastruktur gehören und Computerprogramme unsere Versorgung steuern, können Angriffe von Hackern aus dem Cyberspace nicht nur unser tägliches Leben chaotisieren und unseren Wohlstand untergraben. Sie können auch die militärische Verteidigungsfähigkeit schwächen. Keine Bank, kein Energieversorger, kein Internetkonzern wie Google und kein Industrieunternehmen, schon gar nicht im Bereich der Rüstungstechnik, hängt aus nachvollziehbaren Gründen solche Attacken an die große Glocke.
Spekulationen über ihre Zuordnung führen auf dünnes Eis. Ursprünglich mögen einzelne oder Gruppen von Freaks in China (aber keineswegs nur dort) dem abstrusen Ehrgeiz und Kitzel gefolgt sein, Computer zu knacken und mit Viren zu vergiften. Dann aber entdeckten sie, dass man mit dem Diebstahl virtueller Güter Geld verdienen kann. Offenbar gibt es auch eine patriotisch gesinnte Hackergemeinde in China, die antichinesische Aktionen »bestraft«. Inzwischen gilt es aber als ziemlich sicher, dass es Verbindungen zwischen Hackergemeinden und der chinesischen Staatssicherheit gibt, die in diesen Attacken phantastische Möglichkeiten sieht, an Informationen heranzukommen. Dementsprechend erteilt die Staatssicherheit den »roten Hackern« Aufträge, und diese richten sich nicht nur auf die Bespitzelung von Dissidenten innerhalb der eigenen Staatsgrenzen, sondern auch auf internationale Industrie- und Militärspionage.
China ist nicht das einzige Schwellenland, das zu einer globalen Gewichtsverlagerung des wirtschaftlichen Geschehens und einer politischen Achsenverschiebung beitragen wird. Die Gründung einer Freihandelszone zwischen China und den ASEAN-Staaten, der Aufbau eines asiatischen Währungsfonds, die Einkaufstouren asiatischer Großinvestoren, die es insbesondere auf die Rosinen unter Industrieunternehmen, Banken und Verkehrsgesellschaften in den OECD-Staaten abgesehen haben, die sich multiplizierende Kaufkraft einer neuen Mittel- und Oberschicht, die Erweiterung der Angebotspalette um (Elektro-)Autos, Flugzeuge und Weltraumraketen, der Zugriff auf Rohstoffquellen und die Anziehungskraft aufstrebender Wirtschaftszentren - all das wird über absehbare Pubertätsprobleme hinweghelfen und den weiteren Wachstumsprozess dieser Region stützen. Diese Länder müssen nur wechselseitig Sicherheitsinteressen wahren und jede Nervosität vermeiden. Mit Indien taucht am Horizont ein Schwellenland auf, das trotz augenfälliger Entwicklungsdefizite und Ungleichzeitigkeiten Mitte dieses Jahrhunderts die drittgrößte Wirtschaftsmacht und bevölkerungsreichste Nation sein dürfte. Erich Follath schreibt im Spiegel von einer Drachen-Elefanten-Hochzeit, indem sich die indische softwaregestützte Dienstleistungsgesellschaft mit der chinesischen Weltfabrik verbindet und beide parallel um Patente und die besten Köpfe der Welt ringen. Asiens Anteil am Weltsozialprodukt, der im Jahr 2000 rund 24 Prozent betrug, wird für das Jahr 2030 auf 38 Prozent geschätzt. Dagegen wird sich der Anteil der OECD-Staaten von 55 Prozent auf 40 Prozent verringern. Der Blick auf Lateinamerika und die Golfregion, wo sich ähnliche Tendenzen abzeichnen, soll hier ausgeblendet bleiben.
»Der westliche Fußabdruck in der Welt, der im 19. und 20. Jahrhundert überdimensional war, [wird sich] deutlich verkleinern«, sagt der frühere Diplomat Singapurs und heutige Politikwissenschaftler Kishore Mahbubani. Das bedeutet nichts weniger, als dass sich Deutschland, Europa wie auch die USA auf Einbußen gefasst machen müssen, die aus einer Neuverteilung des weltweiten Wohlstands resultieren. Konfrontiert mit dieser garstigen Aussicht, müssen wir entweder die Frage beantworten, wie wir diese Möglichkeit durch eigene Anstrengungen verhindern können, oder wie wir uns der leidvollen und konfliktreichen Aufgabe stellen, solche Wohlstandseinbußen (solidarisch?) zu verteilen.
Der lahmende Stier: Europa
Europa ist nicht mehr das Zentrum der Welt. Diese Lektion hat es nach 1945 angesichts der Verwüstung des Kontinents, der Abdankung des britischen Empire, der Dekolonisierung und des Dualismus zwischen den USA und der ehemaligen Sowjetunion gelernt. Von Phantomschmerzen werden wir erfreulicherweise nicht geplagt. Europa hat aber nicht nur seine lange Zeit
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