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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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zugrunde, Einfluss auf die stärkeren Spieler in der Eurozone beziehungsweise EU zu gewinnen, im internen Wettbewerb das Tempo mitzubestimmen, die Tuchfühlung aufgrund eigener Konditionsschwächen nicht zu verlieren - und nicht zuletzt an den Ressourcen der besser aufgestellten Partner teilzuhaben. Deutschland ist dafür ein prädestiniertes Objekt. Bemüht um unsere Vorbildrolle als gute Europäer und im wohlverstandenen Eigeninteresse, den europäischen Konvoi zusammenzuhalten, haben wir uns dagegen bisher auch nie stur gezeigt.
    Allerdings nimmt in dieser raison d'etre die Eurozone zunehmend den Charakterzug einer Transfergemeinschaft an, weil der aus nachlassender Wettbewerbsfähigkeit und exzessiver Verschuldung einzelner Staaten entstehende Sprengstoff für die Währungsunion nur über einen Finanzausgleich entschärft werden kann. Das würde fatal dem Mechanismus des Länderfinanzausgleichs in Deutschland ähneln. Er ist absolut resistent gegen jede Grundrenovierung, weil nicht zuletzt zu befürchten ist, dass dann das gesamte Gebäude zusammenkracht. Das heißt, auch im Fall der Eurozone wäre ein solches Transfersystem unter der Ägide einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung unausweichlich auf Dauer angelegt und würde Empfängerstaaten von jedweder ebenso ungemütlichen wie unpopulären Anpassung entlasten und Geberländer auf Jahrzehnte belasten.
    Im Übrigen habe ich noch niemanden getroffen, der mir sagen konnte, wer oder was diese Wirtschaftsregierung genau sein soll. Die jetzige Eurogruppe auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs - mit Nicolas Sarkozy als Vorsitzendem? Anstelle des luxemburgischen Ministerpräsidenten und Finanzministers Jean-Claude Juncker? Was wäre dann mit den elf übrigen EU-Mitgliedsstaaten, die eine eigene Währung haben? Oder vielleicht der Europäische Rat auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs, der nach dreistündiger Sitzung eine Pause einlegt und dann unter einem neuen Firmennamen weitertagt? Unter Vorsitz des permanenten Ratspräsidenten oder turnusgemäßen Ratspräsidenten oder eventuell auch des Präsidenten der EU-Kommission? Mit welchen konkreten Kompetenzen, welchen Abstimmungsquoren, welchen Verfahrensabläufen? Es ist eine Phantomdebatte.
    Das Tauziehen um den EU-Reformvertrag von Lissabon, dessen Ergebnisse - jenseits aller Geringschätzung - hinter notwendigen Verbesserungen des europäischen Zusammenspiels zurückbleiben, erzieht zur Nüchternheit gegenüber Konstruktionen, die kaum tragfähig sind. Mit der Einrichtung eines Gremiums oder einer Konferenz selbst auf höchster Ebene ist ein politisches Problem mitnichten einer Lösung näher gebracht, solange der Auftrag, die Kompetenzen und die Spielregeln dieses Gremiums - hier gemeinsame Wirtschaftsregierung genannt - im Nebel liegen. Die Ausdehnung der Nebelbank ist exemplarisch nach dem EU-Gipfel vom 25-/26. März 2010 deutlich geworden. In der französischen Fassung des Communiques über den verabredeten Nothilfeplan für bankrottbedrohte Staaten heißt es, Europa solle eine gemeinsame Wirtschaftsregierung erhalten, was die Franzosen, die Spanier und andere Befürworter für bare Münze genommen haben. Dagegen ist in der englischen Fassung davon keine Rede, sondern lediglich von einer wirtschaftspolitischen Steuerung, was einem Drängen der Briten, Iren und Niederländer entsprach - und sich auch in der deutschen Übersetzung wiederfindet. Der Unterschied liegt in den Begriffen eines »gouvernement economique« und einer »gouvernance economique«.
    Ein Eingeständnis der Europäer, nicht dem Trugbild einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung zu folgen, hielte ich nicht für einen Ausdruck von Hilflosigkeit. Im Gegenteil, es erschiene mir hilfreich, weil es die Augen dafür öffnete und die Kräfte darauf konzentrierte, was denn in realistischer Reichweite für die Stabilität des Euro getan werden kann. Der Blick in den Rückspiegel auf die Versäumnisse in der Entwicklungsgeschichte der Währungsunion hält bloß auf. Für die Zukunft kann nicht darauf vertraut werden, dass der Wurf einer politischen Union gelingt und damit ausnahmslos alle Sonderwege der nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik eingefangen werden können. Somit geht es realistischerweise um verbindlichere Regeln zur Koordination der Wirtschafts- und Finanzpolitik, um fortentwickelte Instrumente der verstärkten Zusammenarbeit und nicht zuletzt um effektivere Kontroll- und Sanktionsmechanismen, wie sie im Stabilitäts- und

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