Unterm Strich
Kraftquelle des europäischen Voranstrebens«. Das verlangt nicht nationale Entsorgung, wie sie zu häufig praktiziert wird, sondern eine Spitzenbesetzung. Die Wertschätzung der EU und die Referenz gegenüber der EU-Kommission werden in Brüssel sehr genau an der Güteklasse der national entsandten Kandidaten für Spitzenpositionen abgelesen. Warum der alte und neue EU-Kommissionspräsident Barroso das Rotationsprinzip bei der Neubesetzung dieser Posten so hoch hält, dass die Verantwortung für Wirtschaft und Währung mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise von dem erfahrenen und geschätzten Joaquin Almunia mit Olli Rehn auf einen neuen Kommissar übergeht, mag verstehen, wer will. An den Unmut des Europäischen Parlaments über die Präsentation der designierten EU-Kommissare muss nicht lange erinnert werden.
Europa schwächt sich selbst mit solchen Personalentscheidungen. Sie sind ein Indiz dafür, dass entgegen allen Beteuerungen letztlich der Wille fehlt, die supranationale Ebene Europas zu stärken. Das drückt sich auch in der Führungsstruktur aus. Ein Ständiger EU-Ratspräsident, ein turnusmäßiger EU-Ratspräsident, eine EU-Außenministerin, die so nicht genannt werden darf, ein EU-Kommissionspräsident und noch ein Vorsitzender der Eurogruppe - das ist nicht gerade übersichtlich und vermittelt Dritten nicht den Eindruck einer klaren Führung. Kein Wunder, dass US-Präsident Obama den für Mai 2010 in Spanien geplanten EU/USA-Gipfel als nicht vorrangigen Termin einstufte - was das europäische Protokoll zwar aufatmen ließ, aber einen schmerzhaften Hinweis auf die gesunkene Bedeutung der EU darstellt. Einige Etagen tiefer folgte der Absage Obamas die nüchterne Feststellung der Politischen Direktoren im US-Außenministerium, dass man die bisher zweimal jährlich stattfindenden EU/USA-Gipfel wohl nicht mehr brauche. Washington spreche lieber direkt mit den europäischen Regierungschefs in Berlin, Paris und London als mit »Figuren ohne Einfluss«, wie es ein US-Diplomat schnörkellos formulierte: »... nicht nur der Regierung in Washington fällt es schwer, bei dem neuen Brüsseler Kampf um Status und Macht, um Vor- und Darstellungsrechte den Überblick zu behalten und das eigentliche Zentrum europäischer Entscheidungen zu identifizieren.« Womit ein weiteres Puzzlestück zum Bild der neuen Welt des 21. Jahrhunderts hinzukommt: ein an den Rand driftendes Europa.
Im Maastrichter Vertrag von 1992 wurde nicht nur die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion bis 1999 beschlossen. In dieser Zeit wurde auch der Grundstein für eine Erweiterung der EU gelegt, die sich heute mit Ausnahme Islands, Norwegens, der Schweiz und des Balkans auf ganz Europa erstreckt. Umfasste die EU damals zwölf Mitgliedsstaaten, so sind es heute 27. Der frühere EU-Kommissar Günter Verheugen mag recht haben mit seinem Hinweis, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sei die Erweiterung der EU nach Mittelosteuropa eine historische Bringschuld des Westens gewesen. Eine Beitrittsverweigerung für die mittelosteuropäischen Staaten hätte den Riss in Europa fortwirken lassen und das Wohlstandsgefälle verstärkt. Neue Spannungen wären vorprogrammiert gewesen. Darüber hinaus sind die politischen und wirtschaftlichen Vorteile der EU-Erweiterung insbesondere für Deutschland offensichtlich. In seiner zentraleuropäischen politischen und wirtschaftsgeographischen Lage wäre Deutschland davon schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Tatsächlich hat Deutschland erhebliche Vorteile aus dieser Erweiterung erfahren. Jedwede militärische Bedrohung ist entfallen. Ein historisch einmaliges Maß an Sicherheit ist in Europa entstanden. Die Aussöhnung mit dem polnischen Nachbarn wurde erleichtert. Deutschland ist ins geographische Zentrum Europas zurückgekehrt und hat seine osteuropäischen Zugänge neu erschließen können. Das Handelsvolumen Deutschlands mit den nach EU-Regeln spielenden mittelosteuropäischen Staaten ist inzwischen größer als das mit den USA.
Dies alles kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dass die EU die Erweiterung vorangetrieben hat, bevor ihre Institutionen und Verfahren in einem Reformwerk koordiniert werden konnten, weist allerdings auf eine gefährliche Schwachstelle hin. Auch hier stimmte die Reihenfolge der Schritte nicht. Auch hier ließ die Dynamik keine andere Wahl zu. Ein Nachkarten ist allenfalls von historischem Interesse. Dagegen ist es für die Zukunft von eminenter Bedeutung, ob die
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