Unterm Strich
aber sie berücksichtigt die damaligen politischen Dispositionen und Zwänge nicht. Deshalb ist die Frage viel berechtigter, warum es denn spätestens nach Einrichtung der EZB im Juni 1998 versäumt worden ist, ihr eine wirtschafts- und finanzpolitische Koordinierung der Eurostaaten an die Seite zu stellen. Die ebenso einfache wie schnöde Antwort lautet, dass dies keiner der Beteiligten wirklich wollte - aus teilweise keineswegs abstrusen Gründen. Das gilt in meinen Augen bis heute. Denn eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik bedeutet in letzter Konsequenz, dass die Mitgliedsstaaten souveräne Rechte aufgeben und dem Streben nach nationalen Platzvorteilen weitgehend entsagen müssen. Dazu gehören insbesondere die Aufstellung und - faktisch noch bedeutsamer - der Vollzug des nationalen Haushalts sowie die Erhebung von Steuern. Das aber wäre eine Attacke auf das Budgetrecht der nationalen Parlamente beziehungsweise auf ihre Gesetzgebungskompetenz in einem hochsensiblen Bereich, wo es um das Eingemachte geht - nämlich ums Geld.
Eingedenk der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum Geltungsbereich des Grundgesetzes im Rahmen der Europäischen Union und zu den Mitspracherechten des Deutschen Bundestages in der Europapolitik lauern hier verfassungsrechtliche Untiefen. So ist der Vorstoß des neuen EU-Wirtschafts- und Währungskommissars Olli Rehn vom Frühjahr 2010, dass die EU-Kommission bereits bei der Aufstellung der nationalen Haushalte eingebunden sein, also eine Kontrolle ausüben sollte, sehr konfliktbehaftet. Ein solches Mitsprache- und wohl auch Eingriffsrecht bei den nationalen Budgetverfahren würde eine Änderung der europäischen Verträge erfordern. Die Vorstellung, dass nationale Parlamente eine solche Selbstentmachtung ratifizieren könnten, mutet deshalb unwahrscheinlich an. Aber nicht nur das lässt aus Wolkenkuckucksheimen grüßen. Die deutschen Bürger - ohnehin nicht mehr sehr europabegeistert - dürften in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler eine Politik mit massivem Liebesentzug bestrafen, der sie unterstellen könnten, sie sei bereit, »ihr Geld« in ein weitverzweigtes europäisches Netz zu pumpen.
Deshalb fürchte ich, dass die politische Union mit einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik unter weitgehendem Verzicht auf souveräne Rechte der Staaten und ihrer Parlamente einer Fata Morgana gleicht. Wir waren in der EU bisher nicht einmal in der Lage, Steuersätze zu harmonisieren, selbst dort nicht, wo es am einfachsten gewesen wäre - bei den indirekten Steuern. Von einer Angleichung der Bemessungsgrundlage für die Erhebung von direkten Steuern wie der Einkommensteuer will ich gar nicht erst reden. Wie eine Koordinierung der Lohnpolitik, die in vielen Ländern keine Angelegenheit von Regierungen oder Parlamenten ist, unter den Mitgliedsstaaten der Eurozone oder sogar EU-weit erfolgen könnte, ist völlig offen. Und wenn unter Wirtschaftspolitik auch die Industriepolitik und Technologieförderung gefasst wird, liegt es jenseits meiner Vorstellungskraft, wie dabei von nationalen Interessen - in einem Wettbewerb von globaler Dimension - abstrahiert werden soll, um zwischen Kokkola und Kreta auf einen gemeinsamen europäischen Nenner zu kommen.
Europa ist nach wie vor eine Union souveräner Staaten - also ein Staatenbund. Es ist kein Bundesstaat wie die USA oder Deutschland. Ein solcher Sprung zeichnet sich in absehbarer Zeit nicht ab. Das schließt aber keineswegs Fortschritte bei der Abstimmung der Wirtschafts- und Finanzpolitik, der Gestaltung des Wettbewerbsrahmens, der Festsetzung von Standards gerade auch im Sinne einer sozialen Union und vor allem bei der Regulierung von Finanzmärkten aus. Die Vorstellung allerdings, dass sich der Geburtsfehler der Währungsunion durch die Einrichtung einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung nachträglich korrigieren ließe, scheint mir illusorisch. Sie leugnet Ungleichzeitigkeiten und vor allem Interessengegensätze innerhalb der EU, die sich nicht durch Appelle oder Beschwörungsformeln auflösen lassen.
Mehr noch: Die Idee einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung und ihre politische Verkaufsförderung in den europäischen Gremien lenken vom Machbaren ab. Diese Idee erhielt Aufwind in der Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie bekam dann Flügel in der Griechenlandkrise, die den Euro gefährdete und die Defizite des Maastrichter Stabilitätspaktes offenlegte. Ihr liegt ferner das verhüllte Ansinnen mancher Länder
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