Unterm Strich
nachlassende Wettbewerbsfähigkeit der Defizitländer sei das Ergebnis von Reformversäumnissen der letzten Jahre und könne nicht von heute auf morgen per Dekret verbessert werden. Dies erfordere Strukturreformen und Lohnanpassungen, die hohe Konfliktpotenziale bergen und zeitlich erst versetzt Wirkung entfalten würden. Die Überschussländer wie insbesondere Deutschland könnten und wollten indessen ihre Exportpositionen nicht schwächen, nicht zuletzt, weil sie sich in einem Wettbewerb globaler Dimension befänden. Sollten die hohen Haushaltsdefizite von teilweise über 10 Prozent des BIP in relativ wenigen Jahren auf das Maastricht-Kriterium von 3 Prozent gedrückt werden, setze dies drakonische Maßnahmen voraus, die wiederum die Wirtschaftsleistung entsprechend beeinträchtigen würden. Eine Politik der Härte, die manchen so leicht über die Lippen komme, ließe sich gegen breite Teile der Bevölkerung nicht durchsetzen. Der drastische Abbau einer hohen Staatsverschuldung von 100 Prozent und mehr des BIP verlange Einsparungsprogramme, die erhebliche soziale Kosten bis zur Erhöhung der Arbeitslosigkeit verursachen würden. Darüber könnten politische Bewegungen insbesondere an den Rändern des politischen Spektrums Aufwind erhalten, die einen Austritt aus der Eurozone als Wundermittel anpriesen.
Bei einer Arbeitslosigkeit von zum Beispiel 45 Prozent der Jugendlichen unter 25 Jahren in Spanien ist ein solches Szenario in der Tat nicht völlig von der Hand zu weisen. Umgekehrt ist leider auch die Variante nicht absurd, dass die deutsche Bevölkerung von derselben Sehnsucht heimgesucht werden könnte, wenn sie - in nostalgischer Verklärung der D-Mark - das Vertrauen in die Stabilität des Euro verlöre und populistischen Einflüsterungen folgte, nach denen Deutschland gefälligst nicht der Zahlmeister Europas zu sein habe.
Nur weil sich ein solches Szenario als ungeheuerlich ausnimmt, ist es deshalb noch lange nicht undenkbar. Es birgt zweifellos ein Ungeheuer, dessen Käfig unter allen Umständen geschlossen zu halten ist. Denn ein Auseinanderbrechen des Euro wäre eine europäische Katastrophe. Sie würde Europa in eine Renationalisierung der Währungs- und Wirtschaftspolitik treiben. Die Angriffsflächen würden sich dramatisch vergrößern, die inneren Disparitäten verschärfen. Ein Zerbrechen der Eurozone könnte gar, so wird der US-Ökonom Barry Eichengreen in der Süddeutschen Zeitung zitiert, die »Mutter aller Finanzkrisen« sein. Deutschland als einer der unzweifelhaften Profiteure des Euroraums würde in seinen Grundfesten erschüttert. Abgesehen von dem enormen politischen Rückschlag, wäre die Umkehr zu nationalen, in vielen Fällen schwächelnden Währungen mit einer brutalen Aufwertung der D-Mark verbunden. Das würde die deutsche Exportwirtschaft und damit Millionen von Arbeitsplätzen in Deutschland empfindlich treffen. Im Übergang zu einer anderen Währung fielen wieder Transformationskosten an. Die Preistransparenz im gemeinsamen Währungsraum ginge verloren. Aller politische Verstand hat deshalb der Verhinderung eines solchen Szenarios zu gelten und sich nicht in spitzfindigen Rechtsauslegungen zu verlieren. Dazu gehört, nicht mit dem pädagogischen Zeigefinger zu fuchteln und keine Moralpredigten zu halten. Verkaufsempfehlungen für griechische Inseln sind gefälligst zu unterlassen. Kernige Androhungen eines Rausschmisses aus der Eurozone sind ebenso schädlich wie dumm, wenn man eine Nasenlänge weiter denkt. Es ist auch nicht hilfreich, sich von einigen stramm eingestellten Medien zur Eisernen Lady, Madame No oder Eisernen Kanzlerin stilisieren zu lassen, in Anlehnung an historische Figuren, die - wie Joschka Fischer zutreffend feststellte - »mit der Integration Europas nicht allzu viel oder gar nichts im Sinn« hatten.
Ein Staatsbankrott, Ausschluss oder Austritt eines Eurolandes ist kein simples Figurenopfer auf dem Schachbrett. Damit spielt man nicht. Das probiert man nicht fahrlässig aus - und ruft: »Schade«, wenn sich daraus ein Lawinenschlag entwickelt. Dabei ist Griechenland, gemessen an seiner Wirtschaftsleistung in der Eurozone/ EU oder seinem EZB-Kapitalschlüssel, ein verhältnismäßig überschaubares Problem. Die eigentliche Nagelprobe ist das Krisenmanagement und seine Signalwirkung auf andere, gewichtigere Euroländer mit ähnlichen Schwierigkeiten einerseits und insbesondere auf die Finanzmärkte und die internationalen Beobachter der europäischen Szenerie
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